Rede von Jacob Keidar, Botschafter des Staates Israel
in Bern
Holocaust-Gedenktag Yom Hashoah, 2. Mai 2019, Bâtiment
des Forces Motrices, Genf
Veranstaltung des Comité Intercommunautaire pour
l’Organisation de Yom Hashoah
Sehr geehrte Frau Fontanet, Staatsrätin des Kantons
Genf, sehr geehrte Frau Salerno, Mitglied des Verwaltungsrats der Stadt Genf, sehr
geehrte Frau Brunschwig Graf, Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen
Rassismus, liebe Rabbiner, sehr geehrte Botschafter, sehr geehrte Führer und
Mitglieder der jüdischen Gemeinde, sehr geehrte Damen und Herren,
Es ist mir eine Freude, heute am Holocaust-Gedenktag zu
Ihnen zu sprechen, und ich danke Ihnen für die Einladung.
Es ist mir eine besondere Ehre, in Anwesenheit von
Überlebenden des Holocaust und ihrer Familien zu sprechen.
Der Gedenktag für die Shoah erinnert an die Tragödie
der Shoah, die sich während des Zweiten Weltkriegs auf europäischem Boden vor
nur zwei Generationen ereignet hat.
Wir gedenken dem Völkermord, der zum Tod von sechs
Millionen Juden führte, einem Drittel der gesamten jüdischen Bevölkerung damals.
Mehrere Millionen Menschen wurden Opfer der Nationalsozialisten, aber die Juden
waren die Menschen, die vom nationalsozialistischen Regime und seinen Helfern
systematisch zur völligen Vernichtung verurteilt wurden.
Die Knesset wählte als Datum des Gedenkens den Tag des
Warschauer Ghettoaufstandes am 27. Nisan im hebräischen Kalender. Der Zweck des
Aufstands war es, sich den Aktionen des nationalsozialistischen Deutschland zu
widersetzen, die restliche Bevölkerung aus dem Ghetto in die
Konzentrationslager Majdanek und Treblinka zu transportieren. Der Aufstand
begann am 19. April, als sich die Menschen im Ghetto den Befehlen des
SS-Brigadier Jürgen Stroop widersetzten. In der Folge befahl er, das Ghetto niederzubrennen,
Block für Block. Insgesamt starben 13.000 Juden, von denen etwa die Hälfte
lebendig verbrannt oder erstickt wurde. Es war der grösste Aufstand der Juden
während des Zweiten Weltkriegs.
Der Zweck dieses Tages ist es, an unsere Familien zu
erinnern, die in der Shoah umgekommen sind, und den Opfern der Shoah und dem
jüdischen Widerstand zu gedenken. Ziel ist es auch, das Bewusstsein für die
Geschichte der Shoah zu schärfen und zukünftige Akte des Völkermords zu
verhindern. Es ist auch wichtig, sich an diejenigen zu erinnern, die Mut
gezeigt und jüdische Leben gerettet haben.
Nach meiner Ankunft in Bern habe ich durch den
polnischen Botschafter in Bern, Jakub Kumoch, und dem polnischen Honorarkonsul
in Zürich, Markus Blechner, von der Berner Gruppe erfahren. Diese Gruppe
bestand aus Diplomaten, Mitgliedern der polnischen Botschaft in Bern und
jüdischen Organisationen. Sie haben mittels südamerikanischen Pässen viele
jüdische Leben gerettet, und ich habe mich gefreut zu erfahren, dass Yad Vashem
kürzlich beschlossen hat, Konsul Konstanty Rokicki als Gerechten unter den
Nationen anzuerkennen und seinen beiden Kollegen in der polnischen Botschaft,
Aleksander Ładoś, dem Missionsleiter und Stefan Ryniewicz, einen Dankesbrief zu
überreichen. Wir sollten ihr Andenken schätzen und uns von ihren edlen Taten
inspirieren lassen.
Für Menschen wie mich, die zweite Generation der
Überlebenden des Holocaust, hat dieser Gedenktag eine besondere Bedeutung. Mein
Vater, ursprünglich aus Lodz, war 18 Jahre alt, als Deutschland 1939 in Polen
einmarschierte. Er verlor seine ganze Familie - seine Eltern, vier Schwestern
und vier Brüder. Er überlebte, schloss sich den Partisanen nach der
nationalsozialistischen Invasion der Sowjetunion an und trat später, 1943, der
Roten Armee bei und kämpfte gegen die Nazis bis zu ihrer endgültigen
Niederlage.
Im Gedenken an die Familie meines Vaters und alle
Opfer möchte ich unseren ehemaligen Präsidenten Shimon Peres zitieren.
"Sechs Millionen unseres Volkes leben in unseren
Herzen. Wir sind ihre Augen, die sich erinnern. Wir sind ihre Stimme, die
schreit."
Ich halte es für wichtig, die Erinnerung der Shoah zu
bewahren und zukünftigen Generationen zu lehren, denn in vielen Ländern nimmt
der Antisemitismus und die Angriffe auf jüdische Gemeinschaften zu.
Im Gedenken an alle Opfer der Shoah wollen wir uns
zusammenschliessen, um eine bessere Welt zu schaffen, in der die Menschen
einander respektieren, einander bei Not helfen und in Frieden leben.
Rede von Michal Hershkovitz, Stv. Missionsleiterin der
Botschaft in Bern
Gedenkanlass zu Yom Hashoah und dem Siegestag über
Nazi-Deutschland, 2. Mai 2019, Gemeindesaal der Jüdischen Gemeinde Bern
Veranstaltung der Botschaft Russlands, der JGB und der
Botschaft des Staates Israel
Sehr geehrte Holocaustüberlebende, sehr geehrter Herr Friedländer, sehr
geehrter Herr Stellvertretender Missionsleiter Kudryavtsev, sehr geehrter Herr
Rabbiner Kohn, sehr geehrter Herr Winter, Ihre Exzellenzen und Mitglieder des
diplomatischen Corps, liebe Mitglieder der jüdischen, israelischen und
russischen Gemeinschaft, meine Damen und Herren,
Heute ist Yom Hashoah. Heute erinnern wir uns an den Holocaust, den Genozid
der europäischen Juden, welcher vor 74 Jahren begangen wurde. Wir erinnern uns
an die Schrecken des Holocaust. Wir gedenken der sechs Millionen Juden, ein
Drittel der weltweiten jüdischen Bevölkerung in jener Zeit, und an die vielen anderen Opfer, welche vom Nazi-Regime
und dessen Komplizen ermordet wurden.
Das Datum des Holocaust-Gedenktages ist der Tag des Aufstands im Warschauer
Ghetto im Jahr 1943. Die verbliebene Ghetto-Bevölkerung widersetzte sich den
Bemühungen des nationalsozialistischen Deutschland, sie in das
Vernichtungslager Treblinka zu transportieren. Der SS-Kommandant befahl darauf,
das Ghetto niederzubrennen, Block für Block. Insgesamt wurden 13.000 Juden
ermordet, etwa die Hälfte von ihnen sind lebendig verbrannt oder erstickt. Es
war die grösste einzelne Revolte der Juden während des Zweiten Weltkriegs.
Die jüdische Tapferkeit, die sich im Aufstand des Warschauer Ghettos
zeigte, manifestierte sich auch an anderen Orten. Später werden wir mehr
darüber erfahren, was im selben Jahr, 1943, im Vernichtungslager Sobibor
geschah.
Yom Hashoa ist ein Tag der Erinnerung und ein Tag der Besinnung. In diesem
Jahr haben wir in der israelischen Botschaft in Bern beschlossen, uns der
Jüdischen Gemeinde und der russischen Botschaft in Bern anzuschliessen, um
gemeinsam des Holocaust zu gedenken und uns an den Tag des Sieges über die
Nazis zu erinnern.
Wir sind heute hier versammelt, um über die abscheulichen Ereignisse des
Holocaust nachzudenken und um dessen Bedeutung zu verstehen, die Erinnerung
aufrechtzuerhalten und über diese antisemitischen Taten in unserer heutigen
Zeit aufzuklären.
Wir leben heute in einem neuen Jahrhundert, die Welt verändert und
entwickelt sich vor unseren staunenden Augen kontinuierlich weiter; neue
Kommunikationskonzepte wurden entwickelt und die Grenzen zwischen Ländern und Kulturen verschwimmen im globalen
Dorf immer mehr. Für allzu viele scheinen die Ereignisse des letzten
Jahrhunderts eine veraltete Geschichte zu sein, weit entfernt von ihrem
heutigen Alltag, sie können weder
Verständnis geschweige denn Interesse dafür aufbringen.
Jedoch sollte die Erinnerung den denkenden Menschen als Kompass begleiten,
unabhängig von Zeit und Ort. Erinnerungen, Gedenken und Geschichtsschreibung
ermöglichen es unserer Zivilisation, aus Erfahrungen zu lernen, sich zu
verbessern und zu korrigiern. Ohne Erinnerung wäre unsere Kultur begrenzt.
In Israel werden Kinder sehr früh alljährlich mit den Lehren über den
Holocaust als Teil der jüdischen Geschichte konfrontiert. Kinder in der
Kindertagesstätte hören die zweiminütige Sirene und sie stehen am Gedenktag des Holocaust still wie
alle anderen Menschen um sie herum. Später, in den Vorschulen, werden sie
versuchen, die Bedeutung der Zahl sechs Millionen zu verstehen. Langsam, von
Jahr zu Jahr, sammeln wir immer mehr Wissen an , bis die Erinnerung Teil
unserer DNA wird. Exkursionen zu Holocaust-Gedenkstätten und Museen sowie
Gespräche mit Überlebenden sorgen für ein tieferes Verständnis. Schliesslich
reisen wir als Teenager nach Europa, um Konzentrations- und Todeslager zu
besuchen. Dort erleben wir die volle Bedeutung der gewaltigen, schrecklichen
Narbe in der Geschichte der Menschenrechte, genannt Holocaust.
Als israelische Diplomatin in der Schweiz, als Mitglied des jüdischen
Volkes, anerkenne ich die Bemühungen, welche die Schweiz im Laufe der Jahre
bereits unternommen hat, um über diese
schreckliche Zeit der Weltgeschichte, insbesondere auf europäischem Boden,
aufzuklären, zu lehren und zu teilen. Ich glaube, dass jedes Land die Zukunft
besser meistern kann, wenn es die Vergangenheit akzeptiert, die Geschichte
versteht und die Lehren daraus zieht.
74 Jahre sind seit dem Ende des Holocaust vergangen. Wir haben das Glück
und die Ehre, heute Abend vier Überlebende des Holocausts bei uns zu haben.
Mögen Sie ein langes und glückliches Leben bei guter Gesundheit haben. Viele
der Überlebenden des Holocaust erzählen und erzählten ihre Geschichte ihres
Ueberlebens. Viele schwiegen. Meine Grosseltern flohen aus Deutschland, um den
Nazis zu entkommen, aber ich weiss nur sehr wenig über die Familie meines
Grossvaters, der in Berlin blieb und starb. Ich hatte das Glück, die
Grossmutter meines Mannes, Fela Goldstein, eine Auschwitz-Birkenau-Überlebende,
kennenzulernen. Sie erzählte uns, wie sie zusammen mit einer kleinen Gruppe von
Frauen überlebte, die in Auschwitz bei der Sortierung der Kleider arbeiteten.
Sie erzählte uns von den Todesmärschen, die ihre Füsse ruinierten, und von den
Schmerzen, unter denen sie bis zu ihrem allerletzten Tag litt. Sie erzählte uns
nicht, wie sie ihren Mann und ihr Kind während des Holocausts verloren hatte.
Leider starb Fela, als ich mit meinem ältesten Sohn im dritten Monat
schwanger war. Meine Kinder lernten Fela nicht kennen und konnten ihre
Geschichte nicht aus erster Hand hören, sie fragen, die Geschichte näher
erforschen, verstehen und ihren Schmerz spüren. Jetzt ist es unsere
Verantwortung und Pflicht, die Geschichten zu erzählen. Es ist unsere Pflicht,
uns nicht nur selbst zu erinnern, sondern auch zu ermahnen; nicht nur zu
lernen, sondern auch zu lehren. Es ist unsere Verantwortung, die Fackel der
Geschichte des Holocausts an die nächsten Generationen weiterzugeben.