Feiertag in Jerusalem

Feiertag in Jerusalem

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     : Gideon Sharon
     
     
    ​​Von Jacky Levi, Israel ha-Yom, 10.01.13
     
    Jerusalem ist kein Ski-Ort. Daran sollten wir alle uns immer wieder einmal erinnern. Der Sacharov-Park ist nicht das Eingangstor zu den Alpen, der Skopus-Berg nicht Chamonix-Mont-Blanc, und mein Großvater hatte auch niemals einen Schlitten in der Garage. Der berühmte Jerusalemer Schnee kommt hier immer überraschend. Egal, wie oft es hier schon geschneit hat – der Schnee ist niemals etwas, mit dem man rechnen würde. Jerusalemer Schnee ist ein Feiertagsgeschenk. Ein kleines Wunder. Auch die ursprünglichsten Jerusalemer, die ich kenne, die echten Alteingesessenen, die schon seit neun Generationen hier leben, freuen sich wie kleine Kinder, wenn von der Möglichkeit gesprochen wird, dass es hier schneien könnte. […]
     
    Ich erinnere mich an einen verschneiten Morgen Mitte der 90er. Ein armseliger Zentimeter Schnee lag auf der Erde, und jeder Schritt, den man darauf tat, ließ ihn sofort verschwinden. Trotzdem waren selbstverständlich alle Läden geschlossen – außer einer neuen französischen Bäckerei auf der King George-Straße. Nicht nur die Bäckerei selbst war neu, auch die Besitzerfamilie war erst vor sehr kurzer Zeit aus Frankreich eingewandert. Ich ging also die Straße entlang, und auf einmal kam ein eleganter junger Mann mit gepflegtem Dreitage-Bart und Kippa aus dem Laden und fragte schüchtern mit schwerem französischem Akzent, ob heute irgendetwas Besonderes stattfinden würde. Wahlen vielleicht? Ein Streik? Oder ein Feiertag? Natürlich ist es ein Feiertag, antwortete ich ihm. Es schneit.
     
    „Es schneit? Aber das ist doch gar nichts“, sagte er, und war sich gar nicht bewusst, dass er damit einen bedeutenden Schritt in Richtung Integration in Jerusalem tut. Ein Jahr später würde er schon die ganze Tiefe des Schmerzes ermessen können, den wir jedes Mal empfinden, wenn man uns Schnee verspricht und dann das Versprechen nicht einhält. Oh, wie gut kennen wir dieses Gefühl. Wie sehr ärgern wir uns über die Meteorologen jedes Mal, wenn der Schnee schon fest zugesagt ist und alle schon Möhren für den Schneemann bereithalten, man klebt am Fenster – und nichts passiert.
     
    Aber wenn der Schnee dann liegenbleibt, ist das wie ein Feiertag. Jerusalem ist einer der wenigen Orte auf der Welt, wo die Höhe des Schnees wirklich keine Bedeutung hat. Der Schnee radiert Ecken und sogar Grenzen aus. Er schwindelt ein bisschen, der Schnee, und das schönste daran ist, dass er uns Schwerelosigkeit vorgaukelt. Überall, wo er fällt, sorgt er für Leichtigkeit. Und was können wir in Jerusalem dringender gebrauchen, als ein bisschen Leichtigkeit. Gebt dieser Stadt nur einen einzigen Morgen mit Schnee, und sie ist schon gleich viel weniger die Stadt der Steine und mehr die Stadt des Schaums.
     
    Der Autor ist Journalist.
     
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