In Israel wird heute Yom ha-Shoah, der Holocaust-Gedenktag, begangen.
Am gestrigen Vorabend des Gedenktages fand die zentrale Gedenkzeremonie in der Holcaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem statt.
In seiner Ansprache im Rahmen der Zeremonie erklärte Staatspräsident Reuven Rivlin, es gäbe in Israel zwei Positionen gegenüber der Shoah: Einerseits würde diese lediglich zu einem von Rassismus geprägten Ereignis von vielen in der Geschichte erklärt, bei dem die Juden Opfer geworden seien, wie an anderen Orten andere. Der andere Ansatz betrachte die Welt nur noch durch die Brille der Shoah und sähe die Hauptaufgabe des Staates Israel darin, eine neue Shoah zu verhindern.
Beide Ansätze seien jedoch falsch. Der erste ignoriere die Singularität der Shoah und auch des Antisemitismus, der seit 2.000 Jahren existiere. Die Shoah sei nicht als Verbrechen gegen die Menschheit geplant worden, sondern mit dem Ziel das jüdische Volk in Gänze zu vernichten. Der zweite Ansatz dagegen laufe Gefahr, die Welt einzuteilen, in die Gerechten unter den Völkern einerseits und antisemitische Nazis andererseits. Jede Kritik an Israel werde pauschal zu Antisemitismus erklärt. Ein solcher Ansatz gefährde die Gesellschaft nach innen, aber auch die Beziehungen nach außen. Das Judentum existiere nicht erst seit der Shoah, und es sei nicht die Angst gewesen, die das jüdische Volk 2.000 Jahre lang im Exil am Leben gehalten habe.
Rivlin erklärte, das Gedenken an den Holocaust und die Lektionen, die aus dem Völkermord am jüdischen Volk gelernt werden könnten, basierten auf drei zentralen Säulen: Selbstverteidigung, ein gemeinsames Schicksal und Menschenrechte.
„Jeder Mensch ist nach Gottes Ebenbild geschaffen. Dies ist eine heilige Pflicht, der sich das jüdische Volk nicht entziehen kann und will. Immer. In jeder Lage. Deshalb können wir auch nicht schweigen angesichts der Schrecken, die sich in weiter Ferne ereignen und ganz sicher nicht derer, die auf der anderen Seite des Zauns stattfinden“, so Rivlin.
Heute morgen, um 10.00 Uhr Ortszeit ertönte, wie in jedem Jahr, im ganzen Land die Sirene zur Erinnerung an die Opfer der Shoah. Während der zwei Minuten, die der Sirenenton anhält, kommt das Leben in Israel zum Stillstand.
Auch die Botschaft des Staates Israel in Deutschland hat eine Zeremonie zum Yom ha-Shoah veranstaltet. Angehörige der Botschaft reisten in die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen, wo der Gesandte der Botschaft, Avi Nir-Feldklein, einen Kranz niederlegte.
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, der heute am frühen Nachmittag zu einem Besuch in Israel eintraf, sagte bei seiner Ankunft:
„Heute gedenkt Israel der Toten der Shoah, sechs Millionen Juden, die von den Nationalsozialisten in einem beispiellosen Menschheitsverbrechen ermordet worden sind. Zu diesem Tag will ich noch einmal unmissverständlich die historische Verantwortung Deutschlands für den Holocaust und die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs bekennen, die uns heute leitet. Sie ist uns Heutigen Mahnung und Verpflichtung – einzutreten gegen Antisemitismus und für die Menschenwürde, für Toleranz und die Verständigung zwischen den Völkern. Das ist der Auftrag, an dem wir einst gemessen werden.
Still stehe ich heute hier in Israel vor dem bodenlosen Abgrund des Zivilisationsbruchs der Shoah, der kaum zu fassen ist – und vor dem Land, das uns Deutschen dennoch die Hand gereicht hat.“
(Präsidialamt/Botschaft des Staates Israel, 23.04.17)