Wirtschaft für Sicherheit in Gaza

Wirtschaft für Sicherheit in Gaza

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    Außenminister Yair Lapid Außenminister Yair Lapid copyright: MFA
     
     
    Am Sonntag (12.09.) skizzierte Außenminister Yair Lapid bei einer Konferenz über Terrorabwehr des International Institute for Counter-Terrorism (ICT) am IDC Herzliya einen Entwicklungsplan für Gaza als Gegenleistung für koordinierte Anstrengungen gegen die militärische Aufrüstung der Hamas. Der Entwicklungsplan soll Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen enthalten.​​

    Außenminister Yair Lapid:

    "Der Staat Israel muss sich die Frage beantworten: Was wollen wir mit Gaza machen? Seit Israel den Gazastreifen im Jahr 2005 verlassen hat, kommt es immer wieder zu Gewaltkonflikten, die den Bewohnern und der Wirtschaft des Landes Leid und Schaden zufügen.

    Die bisherige Politik Israels hat die Situation nicht wesentlich geändert. Die Sperren stoppten den Schmuggel und die Waffenproduktion nicht. Erst letzte Nacht haben wir den Gazastreifen angegriffen, nachdem eine Rakete abgefeuert wurde und die Bewohner wieder in die Bunker mussten. Wir müssen die Richtung ändern.

    Was sollen wir tun? Die kurze Antwort ist, dass wir eine mehrjährige, große Massnahme genannt  'Wirtschaft im Austausch für Sicherheit' unternehmen müssen. Dies ist eine realistischere Version dessen, was einst 'Rehabilitation in Austausch gegen Entmilitarisierung' genannt wurde.

    Der Zweck eines solchen Schrittes besteht darin, auf beiden Seiten der Grenze Stabilität zu schaffen – in Sachen Sicherheit, Zivilbevölkerung, Wirtschaft und Politik. Die internationale Gemeinschaft und die Bevölkerung von Gaza müssen wissen, dass der Hamas-Terror die Barriere zwischen ihnen und einem normalen Leben ist.

    Darüber hinaus wird ein solcher Schritt Israel ermöglichen, Ressourcen und Beiträge im wirklichen Kampf zu konzentrieren, angesichts des iranischen Nuklearprogramms und des iranischen Versuchs, durch die Ausbreitung von Terrorismus und Gewalt eine Regionalmacht zu werden.

    Überraschenderweise wurde nie ein ernsthaftes Angebot im Bereich Wirtschaft für Sicherheit in Gaza auf den Tisch gelegt; sicherlich nicht offiziell und aus einer Gesamtbetrachtung der Situation der Palästinenser.

    Viele Experten werden Ihnen sagen, dass ein solcher Zug keine Umsetzbarkeit hat. Die Antwort lautet: Wir haben es nicht versucht. Die einzigen beiden Alternativen, die seit langem auf dem Tisch liegen, sind die Besetzung von Gaza oder die Fortsetzung endloser, wiederkehrender Kampfkonflikten.

    Das sind zwei schlechte Alternativen. Die Besetzung von Gaza widerspricht unserem nationalen Interesse. Da haben wir nichts zu suchen. Die Kampfrunden zermürben die IDF, Israels internationale Legitimität und die Stärke und den Zusammenhalt der israelischen Gesellschaft.

    So eine Realität können wir nicht akzeptieren. Es ist die Pflicht der israelischen Regierung, vor ihre Bürger zu treten und zu deklarieren, dass wir jeden Stein umgedreht haben, um die Sache Gaza zu bewältigen.

    Es soll sofort gesagt werden: Dies ist kein Vorschlag, mit der Hamas zu verhandeln. Israel spricht nicht mit Terrororganisationen, die es zerstören wollen.

    Für Israel ist die Vertretung der Palästinenser nicht die Hamas, sondern die Palästinensische Autonomiebehörde. Israel wird keine Preise an eine radikale Terrororganisation vergeben und die PA schwächen, die regelmäßig mit uns zusammenarbeitet.

    Die Förderung einer wirtschaftlichen Formel für Sicherheit wird die Hamas zwingen, den Bewohnern von Gaza zu erklären, warum sie in Armut, Entbehrung, Gewalt und hoher Arbeitslosigkeit leben - ohne Hoffnung.

    Den Gazabewohnern muss in jeder Art und Weise und auf jeder Bühne erzählt werden – die Hamas führt Euch in den Untergang. Niemand wird kommen, um echtes Geld zu investieren, und niemand wird versuchen, eine Wirtschaft aufzubauen, in einem Ort von dem die Hamas feuert und den Israel regelmäßig bombardiert.

    Es ist an der Zeit, den Druck auf die Hamas zu übertragen, und die Menschen in Gaza dazu zu bringen, Druck auf die Hamas auszuüben, weil sie verstehen, was sie durch den anhaltenden Terrorismus verlieren und was sie gewinnen können, wenn er aufhört.

    Heute existiert die absurde Situation, dass eine islamische und antisemitische Terrororganisation israelische Bürger angreift und die Welt Israel dafür verantwortlich macht. Es wird immer Israelhasser geben, die uns für alles verantwortlich machen, aber ein positiver Vorschlag wird die Situation verbessern.

    Anstatt dass die Hamas ihre Interessen als radikale Terrororganisation auf Kosten der Einwohner von Gaza fördert, werden wir einen Plan zur Verbesserung der Lebensbedingungen in Gaza vorlegen, sollte die Hamas ihre Tätigkeit als radikale Terrororganisation einstellen.

    Natürlich ist dies ein langer Prozess. Es wird nicht Monate, sondern Jahre dauern. Die Beweislast liegt bei der anderen Partei. Wenn die Bewohner von Gaza Leben wollen, müssen sie von der Hamas verlangen, den Waffenstillstand zu beachten, solange der Bau- und Wiederaufbauprozess läuft.

    Es soll kein Missverständis geben: Israel verlangt von niemandem, seine Bürger zu schützen. Nur Israel bietet Sicherheit für Israel. Nur wir sind für die Bürger des 'Gaza-Umschlags' verantwortlich. Genau aus diesem Grund ist es an der Zeit, den Prozess gegenüber Gaza in Gang zu setzen.

    Die Kraft der IDF erlaubt uns Handlungsfreiheit in Gaza, aber ihre Stärke erlaubt uns auch politische Handlungsfreiheit: Die Machtposition erlaubt uns, positive Schritte einzuleiten, anstatt zu sitzen und auf die nächste Gewaltrunde zu warten.

    Natürlich wird Israel seine Bemühungen im Bereich der Gefangenen und Vermissten nicht für einen Moment aufgeben. Die Rückkehr der Jungen sollte Teil jeder Massnahme der Sicherheit im Austausch für Wirtschaft sein.

    Der erste Vorschlag, den wir im Außenministerium formuliert haben, bezieht sich auf zwei Phasen der Resolution:

     

    Die erste Phase:

    Ein verbesserter humanitärer Wiederaufbau von Gaza im Austausch für einen koordinierten Kampf gegen die militärische Intensivierung der Hamas. Ein solcher Wiederaufbau umfasst die Befriedigung der grundlegendsten Lebensbedürfnisse.

    Gaza erhält eine Sanierung des Stromsystems, einen Gasanschluss, den Bau von Wasserentsalzungsanlagen, eine erhebliche Verbesserung der Gesundheitsversorgung und die Sanierung der Wohn- und Verkehrsinfrastruktur. Im Gegenzug wird sich die Hamas zu einer langfristigen Waffenruhe verpflichten.

    Die internationale Gemeinschaft wird Hebelwirkungen gegen die Hamas einsetzen, um ihre Machtverstärkung zu verhindern. Sie wird daran arbeiten, die Kontrolle gegen Schmuggel zu verschärfen, und ein wirtschaftlicher Überwachungsmechanismus wird eingerichtet, um die Umlenkung von Ressourcen zur Machtverstärkung der Hamas zu verhindern.

    Ohne solche Aufsichtsmassnahmen werden wir und andere Staaten nicht zustimmen, die erforderlichen Mittel in Gaza zu investieren. Niemand auf der Welt hat ein Interesse daran, in Infrastruktur zu investieren und dort aufzubauen, wo jederzeit erneute Kämpfe beginnen könnten.

    Israel wird nicht bereit sein, in die Verbesserung der Bedingungen in einem Gebiet zu investieren, von dem aus seine Bürger bedroht werden. Vor allem, wenn es die Hamas stärkt, anstatt dass von ihr ein Preis verlangt wird.

    Aus diesem Grund wird der humanitäre Rehabilitationsprozess in 'Meilensteinen' vordefiniert, denen jeweils ein fester Zeitraum zugewiesen wird. Jede Verletzung durch die Hamas wird den Prozess stoppen oder zurücksetzen.

    Unsere erste Verpflichtung als Regierung besteht darin, die Bürger Israels zu schützen. Wir sind entschlossen, energisch gegen jeden großen und kleinen Terroranschlag aus Gaza vorzugehen und von jedem, der eine solche Aktion initiiert, einen hohen Preis zu verlangen.

    Die Sicherheitsformel während der ersten Phase ist einfach - Premierminister Bennett hat sie bereits erklärt: Im Austausch für Ruhe sind wir bereit, mehr denn je zu geben. Wenn der Frieden gebrochen wird, müssen Hamas und die Organisationen wissen, dass die Reaktion stärker sein wird als zuvor.

    Selbst wenn der Terrorismus während der gesamten ersten Phase aufhört, wird Israel weiterhin den 'Schalter' über die Strom- und Wasserversorgung halten. Nur angesichts langfristiger Ruhe können wir dem Gazastreifen volle Energieunabhängigkeit gewähren.

    Die Palästinensische Autonomiebehörde wird Teil des Prozess sein. Es wird wieder die aktive Behörde der Übergänge sein. Die Möglichkeit einer Wiedereröffnung des Karni- Übergangs wird geprüft. Ägypten wird den Grenzübergang Rafah weiterhin halten.

    Hervorzuheben ist die entscheidende Bedeutung Ägyptens für den gesamten Prozess. Dies wird nicht ohne die Unterstützung und Beteiligung des ägyptischen Partners und ohne seine Fähigkeit zum Dialog mit allen Parteien geschehen.

    Wird die erste Phase des Rehabilitationsprozesses als erfolgreich definiert, kann in die zweite Phase übergegangen werden, in der die Palästinensische Autonomiebehörde bereits als zentrales Durchführungs- und Kontrollorgan eingebunden und im Sicherheitsratsbeschluss verankert wird.

     

    Die zweite Phase:

    Ein geordneter Wirtschaftsplan für die Sicherheit wird aufgestellt, der klarstellt, wie die Zukunft des Gazastreifens aussehen könnte, wenn die Hamas die Bedingungen des Quartetts akzeptiert. In einem solchen Zustand wird sich die Wirtschaft und das Leben in Gaza von Grund auf ändern.

    Einwohner von Gaza und Mitglieder der internationalen Gemeinschaft werden einen praktischen und umfassenden Plan erhalten, der klarstellt, wie das Leben in Gaza aussehen wird, wenn die Machtverstärkung gestoppt, die Ruhe aufrechterhalten und eine wirtschaftliche Formel im Austausch für Sicherheit angewendet wird.

    Im Rahmen der zweiten Phase wird das künstliche Inselprojekt vor der Küste von Gaza gefördert, das den Bau eines Hafens ermöglicht. Ein Transportprojekt zur Verbindung des Gazastreifens mit dem Westjordanland wird gefördert.

    Gefördert werden internationale Investitionen im Gazastreifen und gemeinsame Wirtschaftsprojekte für Israel, Ägypten und die Palästinensische Autonomiebehörde. Neben dem Erez-Übergang werden große Industrie- und Beschäftigungsgebiete entstehen.

    Koordinator der Investitionen ist die Versammlung der Spender, der die Europäische Union und die USA sowie der Weltwährungsfonds und die Weltbank angehören. Hinzu kommen die Golfstaaten, angeführt von den Vereinigten Arabischen Emiraten.

    In der zweiten Phase wird die Palästinensische Autonomiebehörde die zentrale Behörde, die mit uns zusammenarbeiten wird, um die verschiedenen Projekte zu fördern. Die Behörde wird die wirtschaftliche und zivile Verwaltung des Gaza-Streifens übernehmen.

    Der hier vorgelegte Vorschlag geht nicht auf die Zweistaatenlösung ein, aber meine Position dazu ist bekannt: Israel muss sich für die Stärkung der Palästinensischen Autonomiebehörde einsetzen und mit ihr verhandeln – mit dem Ziel, die beiden Staaten zu trennen.

    Die politischen Bedingungen – sowohl in Israel als auch in der Palästinensischen Autonomiebehörde – erlauben keine Fortschritte auf der aktuellen politischen Achse, aber in Gaza können und müssen wir jetzt schon handeln.

    In einem breiten Kontext kann gesagt werden, dass der Beginn des Prozesses in Gaza günstigere Bedingungen für zukünftige politische Verhandlungen schaffen wird, wenn die Bedingungen erfüllt sind. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass Kämpfe in Gaza auch die Chancen auf eine Rückkehr an den Verhandlungstisch beeinträchtigen.

    Die Lösung, die ich hier vorschlage, ist nicht perfekt. Mir war es wichtig, einen anderen Horizont zu präsentieren, bevor es wieder aufflammt, aber perfekte Lösungen gibt es sowieso nicht. Es ist an der Zeit, uns im Umgang mit unseren Beziehungen zu den Palästinensern vom Nullsummendenken zu befreien.

    Ich sehe keinen Nachteil - keinen strukturierten Nachteil - in einem solchen Angebot, solange unsere Absichten ernst ist. Wenn die Hamas-Führung in Gaza die Ruhe einhält, wird sich die Realität in Gaza grundlegend ändern.

    Wenn Sinwar und Haniya weiterhin gegen Israel vorgehen, werden wir, die internationale Gemeinschaft und insbesondere die Menschen in Gaza wissen, dass die Hamas sich weigert, das Leben in Gaza zu verbessern, weil sie nur daran interessiert ist, Juden zu töten.

    Ein solcher Schritt würde Israels Legitimität dramatisch stärken. Bei allem Respekt der Romantik 'eines allein lebenden Volkes' leben wir in einer vernetzten Welt. Die Qualität unserer internationalen Beziehungen ist ein notwendiger Bestandteil der israelischen Stärke.

    Die Palästinenser müssen entscheiden, ob auch sie Teil des globalen Netzwerks des Fortschritts sind. Sowohl in Gazastreifen als auch im Westjordanland haben die Palästinenser die Möglichkeit, sich der Stabilität, dem Wohlstand und der Koexistenz anzuschließen, die die Normalisierungsabkommen dem Nahen Osten bringen.

    Die Bewohner von Gaza müssen sich entscheiden, ob sie eine dramatische Verbesserung ihrer Lebensbedingungen wünschen oder Teil des Chaos, des Extremismus und der Gewalt des radikalen Islam sein wollen.

    Zum Schluss: Das hier Gesagte wird nicht im leeren Raum gesagt. Premierminister Bennett und Verteidigungsminister Benny Gantz kennen die Position und unterstützen das Prinzip dahinter.

    Ich habe viele vorbereitende Gespräche mit Behörden in der arabischen und westlichen Welt geführt, die die Idee prüfen; mit den ägyptischen Behörden und führenden Politikern in den Golfstaaten, mit US-Außenminister Blinken, dem russischen Außenminister Lavrov und der Europäischen Union.

    Es gibt noch viel zu tun, wir sind noch am Reißbrett, aber wenn dieser Vorschlag eine Umsetzbarkeit und breite Zustimmung hat, werde ich der Regierung vorschlagen, ihn als offiziellen Standpunkt anzunehmen und in die Tat umzusetzen.

    Vielen Dank."


    (Rede von Außenminister Yair Lapid, 12.09.2021)