Eine neue Studie
der Universität Tel Aviv hat herausgefunden, dass Viren, so genannte
Bakteriophagen (oder Phagen), ähnlich wie Menschen mit der Spieltheorie alle
Optionen abwägen und schließlich eine fundierte Entscheidung treffen – ob die
Zeit gekommen ist, den Ruhezustand zu verlassen und ihren bakteriellen Wirt
anzugreifen.
Die Studie wurde
von Prof. Avigdor Eldar von der Shmunis School of Biomedicine and Cancer
Research der Universität Tel Aviv zusammen mit seinen Studenten und Partnern
vom Weizmann Institute of Science geleitet. Die Arbeit wurde im Dezember 2021
in der Zeitschrift Nature Microbiology veröffentlicht.
Phagen sind
Viren, die Bakterien angreifen. Viele Phagen können in einem von zwei Zuständen
existieren: aktiv (Lyse), wobei die Phagen Bakterien angreifen und zerstören,
oder ruhend, wobei sie passiv in den Bakterien verbleiben und sich selbst
vermehren, aber keinen Schaden anrichten (Lysogenie). Phagen dieses Typs müssen
sich jedes Mal, wenn sie einen neuen Wirt infizieren, entscheiden, ob sie aktiv
oder inaktiv sein wollen. Entscheiden sie sich für die Ruhephase, müssen sie
auch entscheiden, wann sie "aufwachen" und angreifen. Wie bei allen
Dilemmas ist es wichtig, die Entscheidung auf solide, zuverlässige Informationen
zu stützen.
Den Forschern
zufolge geht man seit einiger Zeit davon aus, dass ein Phage seine
Entscheidung, den Ruhezustand zu verlassen, von Informationen über den Zustand
seines bakteriellen Wirts abhängig macht: Wenn der Wirt Anzeichen erheblicher
DNA-Schäden zeigt (sozusagen im Todeskampf), ist es im Interesse des Phagen,
ihn zu verlassen und zu versuchen, andere Bakterien zu infizieren.
Die neue Studie
entdeckte einen zusätzlichen Mechanismus der Kommunikation zwischen Bakterien
und Phagen: Offenbar haben einige Phagenfamilien eine komplexere
Entscheidungsstrategie entwickelt, eine Art "Phagen-Spieltheorie",
bei der der Phage nicht nur Informationen von seinem eigenen Wirt, sondern auch
von benachbarten Bakterien erhält.
Prof. Eldar
erklärt: "Wenn ein Phage in einer Bakterienzelle schlummert, zwingt er
seinen Wirt, ständig kleine Kommunikationsmoleküle namens Arbitrium zu
produzieren, auf die der Phage über einen speziellen Rezeptor hört. Das
Vorhandensein hoher Mengen dieser Moleküle zeigt also an, dass benachbarte
Bakterien ebenfalls Phagen enthalten. Wenn dies der Fall ist, wird der Phage
nicht aktiv, selbst wenn sein eigener Wirt DNA-Schäden aufweist. Da jedes
Bakterium nur einen ruhenden Phagen beherbergen kann, trifft der Phage eine
bewusste Entscheidung: Es ist besser, den Wirt versuchen zu lassen, sich selbst
zu reparieren, als ihn zu 'verraten', da alle benachbarten Bakterien bereits
besetzt sind."
Prof. Eldar und
sein Team setzten eine Reihe genetischer und biomolekularer Methoden ein, um
die biochemischen Kommunikationssignale zwischen den Bakterien und Phagen zu
verfolgen. In einer früheren Studie zeigten sie mit Hilfe eines
Fluoreszenzmarkers, dass die von Phagen verwendeten Kommunikationsmethoden
sowie eine große Familie ähnlicher Kommunikationssysteme (allgemein als
"Quorum Sensing" bekannt) nur dazu verwendet werden, Signale von
nahen Nachbarn zu erhalten. "Im Wesentlichen haben die Bakterien zwei
getrennte Kommunikationssysteme entwickelt - eines für die Kommunikation über
große Entfernungen und das andere nur für kurze Entfernungen, um den Zustand
ihrer unmittelbaren Nachbarn zu erfassen", sagt Prof. Eldar. "Im Fall
des Phagen kontrolliert er die Kommunikation und ist nur daran interessiert zu
wissen, ob seine unmittelbaren Nachbarn, die er leicht infizieren könnte,
bereits besetzt sind."
Prof. Eldar fasst
zusammen: "Vor einigen Jahren haben Prof. Rotem Sorek und sein Team am
Weizmann-Institut zum ersten Mal die Kommunikation zwischen Phagen
nachgewiesen. Solche Systeme waren bereits zwischen anderen molekularen
Parasiten bekannt, die von Bakterien beherbergt werden (sogenannte Plasmide).
Unsere neue Entdeckung ist die Tatsache, dass Phagen sogar in ihrem Ruhezustand
kommunizieren. Wir haben Komponenten identifiziert, die entscheidend für das
Verständnis sind, wie Phagen Informationen über den Zustand ihres Wirts mit
Informationen über ihre Nachbarn kombinieren. Dies ist ein weiterer wichtiger
Schritt auf dem Weg zur Entschlüsselung der Kommunikation und der
"Verhaltensökonomie" von Viren. Phagen haben eine hervorragende
Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten und die richtige Entscheidung zu
treffen, um ein optimales Überleben zu gewährleisten. Es wird interessant sein
zu sehen, ob Viren, die in komplexeren Organismen leben, aber vor ähnlichen
Entscheidungen stehen, auch vergleichbare Kommunikationssysteme entwickelt
haben."
(Sprecherin der
Universität Tel Aviv, 01.01.2022)