Staatsakt in der Berliner Philharmonie

Festakt in der Berliner Philharmonie

  •   50-jähriges Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen
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     copyright: Botschaft/Yehuda Swed
     
     
    Am 12.05.2015 fand in der Berliner Philharmonie der offizielle Festakt zum 50-jährigen Jahrestag der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland statt. Präsident Reuven Rivlin und Bundespräsident Joachim Gauck hielten zunächst zwei Reden, bevor die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Paavo Järvi die vierte Symphonie (die „Italienische“) von Felix Mendelssohn-Bartholdy.

    Bundespräsident Gauck erklärte: „Es ist ein Wunder, was sich in den vergangenen 50 Jahren ereignet hat zwischen unseren beiden Ländern.“ Dieses Wunder sei nur möglich gewesen, weil die Israelis den Deutschen Vertrauen geschenkt hätten, so Gauck. Gleichzeitig mahnte der Bundespräsident, dass man sich angesichts der großen Leistungen in der Vergangenheit nicht zurücklehnen dürfe, sondern die Zukunft gemeinsam gestalten müsse.


    Am Schluss der Rede richtete sich Bundespräsident Gauck an Präsident Rivlin und sagte: „Sie haben Ihr Herz mitgebracht und dafür vielen Dank!“ Daraufhin umarmten sich die beiden.

    Präsident Reuven Rivlin hielt folgende Rede:

    "Herr Bundespräsident,

    sehr verehrte Frau Schadt,

    meine sehr verehrten Damen und Herren,

    liebe Freunde der deutsch-israelischen Freundschaft!

     

    Mir scheint, dass es keine bessere Möglichkeit gibt, den Unabhängigkeitstag des Staates Israel und den 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel zu begehen, als mit der Symphonie Nr. 4 in A-Dur, der „Italienischen Symphonie“, von Felix Mendelssohn Bartholdy.

    Ein Fremder, der sich hierher verirrt, würde sicher mit Erstaunen fragen, warum Deutsche und Israelis gemeinsam einer Symphonie lauschen, die die Italienische genannt wird. Möglicherweise würde es ihm schwerfallen zu verstehen, wer der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy überhaupt ist. Warum wird er von einigen als jüdischer Komponist bezeichnet? Warum bezeichnen ihn andere als Christen? Und warum gab es solche, die darauf bestanden, in ihm einen Deutschen zu sehen, und die seine Lieder sogar boykottierten?

    Um dies besser zu verstehen, möchte ich zusammen mit Ihnen zu einem prägenden Ereignis in der jüdisch-deutschen Geschichte zurückkehren.

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    Im Jahre 1734 kam ein vierzehnjähriger jüdischer Junge mit einem Buckel nach Berlin. Er hieß Moses Mendelssohn. Der Junge betrat die Stadt durch das Rosenthaler Tor, „das einzige Tor in der Stadtmauer, durch das Juden (und Vieh) hindurchschreiten durften“, wie festgelegt wurde.

    Später wurde dieser Junge „der jüdische Sokrates“ genannt. Sein Denken und seine Weltanschauung sollten Deutschland, das jüdische Volk und ganz Europa verändern. Hier in Berlin studierte Moses Mendelssohn Thora nebst Französisch und Englisch, Lateinisch und Griechisch, Mathematik und Philosophie.

     

    Hier in Berlin veröffentlichte er sein Buch „Jerusalem“, in dem er die These aufstellte, dass Judentum und Moderne vereinbar seien; er rief zur Trennung zwischen Staat und Religion auf und definierte die Bedingungen für Toleranz und Gleichberechtigung zwischen den Religionen in einer zivilen Gesellschaft.

    Ich weiß nicht, ob Mendelssohn dachte, „Berlin“ sei „Jerusalem“. Doch als im Jahr 1809 sein Enkel Felix Mendelssohn geboren wurde, kamen meine Vorfahren aus einem anderen geistigen „Jerusalem“, dem litauischen Vilna und Kovno, in das reale Jerusalem in Eretz Israel. Sie dachten mit Sicherheit nicht, dass Berlin Jerusalem sei. Für sie gab es nur ein einziges Jerusalem.

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    Felix Mendelssohn - der Enkel von Moses, einem stolzen Juden - wurde als Jude geboren, doch später getauft. Als Jude blieb ihm der Zugang zur Welt des schöpferischen Handelns und zur europäischen Kultur versperrt. Als Christ, Komponist und musikalischem Genie wurden ihm die Türen zur Kultur geöffnet. Überall, von den Konzertsälen bis in die entferntesten Winkel, ertönten seine Melodien.

    Was blieb Felix Mendelssohn von seinem Großvater Moses Mendelssohn? Ich weiß es nicht. Aber Wagner behauptete, es zu wissen. In seinem bekannten Aufsatz „Das Judentum in der Musik“ behauptete Wagner, dass die Werke Mendelssohns ein großes Talent zum Ausdruck brächten, sie jedoch wegen seines Judentums nicht in der Lage seien, in die Tiefe der Seele vorzudringen.

    Über die Juden sagte er, dass sie nicht in der Lage wären, wirkliche Kunst zu schaffen. Später verbot das Dritte Reich im Namen desselben kulturellen und rassischen Antisemitismus, die „jüdischen“ Werke Mendelssohns aufzuführen. Mendelssohn wurde aus den Konzertsälen verbannt und die Nazis beauftragten sogar eine Gruppe von „rassenreinen“ Komponisten unter der Leitung von Carl Orff, Shakespeares Sommernachtstraum, ein Meisterwerk Mendelssohns, neu zu komponieren. So strebte der ideologische Antisemitismus der Nazis danach, unter anderem auch den Namen und die Erinnerung an Moses Mendelssohn auszulöschen.

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    Genau in jenen Tagen gelangte das Werk Felix Mendelssohns nach Eretz Israel. Im realen Jerusalem spielte man den ‚Sommernachtstraum‘ ohne Furcht. In Eretz Israel wurde er nicht als Jude, der auf seine Identität verzichtet hatte, boykottiert.

    Seine Werke wurden durch die besten zionistischen Dichter, wie Tschernichowsky, der hebräischen Sprache angepasst. Und die Kinder aus dem warmen Land im Nahen Osten sangen „Oh wie ist es kalt geworden“, den „Wintergesang“ und die „Lilie des Sharon“ von Hoffmann von Fallersleben, sowie die „Wasserfahrt“ und den „Friedenssegen“ von Heinrich Heine. Und alle wurden in der wohlbekannten Mendelssohnschen Melodiösität gesungen.

    Meine Damen und Herren,

    heute, so scheint mir, fügen wir dem symphonischen Werk Mendelssohns noch eine Ebene hinzu, wenn wir hier in der Berliner Philharmonie seine Komposition aus Anlass der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel und des israelischen Unabhängigkeitstages zur Aufführung bringen.

    Mir und allen Bürgern Israels ist die echte Freundschaft zwischen Ihrem und meinem Land sehr wertvoll. Sie ist Ausdruck unserer Fähigkeit, aus der Last der schrecklichen historischen Vergangenheit herauszutreten, ohne diese, Gott behüte, auch nur für einen einzigen Augenblick zu vergessen. Sie ist Ausdruck unserer Fähigkeit, der Vergangenheit zu gedenken, die sich in unsere Körper und unsere Seele eingeprägt hat, und den Blick auf die Zukunft zu richten, ohne auf die Gegenwart zu verzichten.

    In diesen Tagen, in denen eine Welle von Terror, Gewalt, Intoleranz und religiöser Verfolgung den Nahen Osten überrollt, in diesen Tagen, in denen Antisemitismus, Faschismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf den Straßen Europas in Form von stärker werdenden extremen nationalistischen Parteien und Bewegungen wieder ihr hässliches Gesicht zeigen, müssen wir in Israel und in Deutschland zusammenstehen.

    Es ist unsere Pflicht, in Berlin und in Jerusalem, uns weiterhin den bösen Kräften entschlossen entgegenzustellen, die unsere gemeinsamen Werte, allen voran die Würde des Menschen, zerstören wollen. Gemeinsam stehen wir weiterhin mit Entschlossenheit zu unserer gemeinsamen Verpflichtung, universelle Werte auch in einer komplexen politischen Realität aufrecht zu erhalten. Gemeinsam werden wir die Interessen der freien Nationen vor den zu erwartenden Gefahren verteidigen.

    Gemeinsam versprechen wir, dass sowohl der jüdische als auch der christliche Mendelssohn, sowie Mohammed Abdel-Wahab, der muslimische Sänger und Komponist, nie mehr in das Ghetto zurückkehren werden.

    Sie müssen weiterhin zusammen spielen.

     

    Herzlichen Dank an Sie alle.

    Seien Sie gesegnet.

    Ich wünsche Ihnen ein schönes Konzert."

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    Die Rede von Bundespräsident Gauck können Sie hier nachlesen.