Staatspräsident Reuven Rivlin hat als erster Staatspräsident an der Gedenkzeremonie für das Massaker von Kafr Qasim teilgenommen. In dem arabischen Dorf wurden 1956 von Soldaten des Grenzschutzes 43 israelisch-arabische Bewohner getötet, die sich nicht an eine Ausgangssperre gehalten hatten, von der sie nicht hatten wissen können. Unter den Getöteten waren neun Frauen und 17 Jugendliche und Kinder.
Rivlin traf am Sonntagmorgen in Kafr Qasim ein und kam zunächst mit dem Bürgermeister der heutigen Stadt, Adel Badir, zusammen, der ihm von den Herausforderungen berichtete, denen der Ort heute begegnet. Anschließend legte der Staatspräsident einen Kranz am Denkmal für die Opfer des Massakers nieder und besichtigte eine Schule sowie das örtliche Gewerbegebiet.
Bei der anschließenden Gedenkzeremonie im örtlichen Gemeindezentrum sprach Rivlin unter anderem vor Überlebenden, Angehörigen der Opfer, Vertretern der Stadt und Studierenden aus Kafr Qasim selbst und dem angrenzenden Rosh ha-Ain.
Der Staatspräsident sagte in seiner Rede unter anderem:
„Ich bin heute hierhergekommen, als Teil des jüdischen Volkes und als Präsident des Staates Israel, um hier vor Ihnen zu stehen, den Familien der Getöteten und Verletzten, um gemeinsam mit Ihnen zu trauern und zu gedenken. Die brutalen Morde in Kafr Qasim sind ein abnormales und trauriges Kapitel in den Beziehungen zwischen hier lebenden Arabern und Juden.
Der Staat Israel hat das Verbrechen, das hier begangen wurde als solches anerkannt. Und er hat sich richtig und zu Recht dafür entschuldigt. […] Wir müssen verstehen, was hier passiert ist. Wir müssen zukünftige Generationen dieses schwierige Kapitel und die Lektionen, die wir daraus gelernt haben, lehren. […]
Liebe Freunde. Ich bin heute hierhergekommen, um vor den Familien zu sprechen, deren geliebte Angehörige aus dem Leben gerissen wurden. Zugleich kann ich hier nicht stehen, ohne meine große Sorge, die ich heute empfinde, angesichts des gewalttätigen Terrorismus auszusprechen, der sich in den vergangenen Tagen auf den Straßen Ostjerusalems und im ganzen Land zeigt. […]
Ich bin heute hierhergekommen, gerade während dieser schweren Tage, um meine Hand auszustrecken in dem Glauben, dass Ihre Hand im Gegenzug zu mir und der israelischen Öffentlichkeit ausgestreckt ist.
Freunde. Ich schwöre hiermit, in meinem Namen und in dem all unserer Nachkommen, dass wir niemals gegen das Prinzip der Gleichberechtigung verstoßen werden, und wir werden niemals jemandem von unserem Land vertreiben. Dies sind nicht meine Worte, sondern die Worte Ze’ev Jabotinskys, des Gründers der Beitar-Bewegung. Worte, die er vor mehr als 80 Jahren gesprochen hat, und die ich heute hier wiederhole.
Der Staat Israel ist die nationale Heimat des jüdischen Volkes, das nach zwei Jahrtausenden des Exils in sein Land zurückgekehrt ist. Das war seine Aufgabe.
Doch der Staat Israel wird auch immer die Heimat seiner arabischen Bevölkerung sein, die mehr als eineinhalb Millionen Menschen zählt und mehr als 20 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Die arabische Bevölkerung des Staates Israel ist keine marginale Gruppe der israelischen Bevölkerung. Wir sprechen über eine Gruppe, die ein integraler Bestandteil dieses Landes ist, von einer eigenen Gruppe, mit gemeinsamer nationaler Identität und Kultur, die immer eine fundamentale Komponente der israelischen Gesellschaft bleiben wird. Und so, selbst wenn niemand das gezielt befördert hat, sind wir dazu bestimmt, Seite an Seite, gemeinsam zu leben, mit einem gemeinsamen Schicksal. Es ist nicht nur das Land, das wir teilen. Wir teilen dieselbe Wirtschaft, dieselben sozialen Sicherungssysteme und einen gemeinsamen öffentlichen Raum. Wir reisen gemeinsam auf denselben Straßen und Autobahnen und spielen gemeinsam in denselben Fußballstadien. […]
Die jüdischen und arabischen Communities können nicht vorgeben, dass die jeweils andere Seite nicht existiert; wir können nicht hoffen, dass die andere Seite verschwindet, wenn wir nur den Vorhang vorziehen.
Wir müssen einen Pfad finden. Dieser Pfad, scheint es, wird nicht auf den Fundamenten der Liebe gebaut sein, doch er kann und muss mit einer objektiven Perspektive gebaut werden und mit gegenseitigem Respekt und Verpflichtung. […]
Im Rahmen dieser gegenseitigen Verpflichtung kann und muss der Staat Israel von all seinen Bürgern, von allen Communities verlangen, die Souveränität des Staates zu akzeptieren, seine demokratischen Werte und allerdings auch, den kompromisslosen Umgang mit all jenen, die diese zu unterminieren suchen.
Darüber hinaus, geehrte Freunde: Wir müssen es offen aussprechen: Die israelische arabische Bevölkerung hat jahrelang unter Diskriminierung bei der Haushaltsverteilung, Bildung, Infrastruktur und in Gewerbe- und Handelsgebieten gelitten. Dies ist ein anderes Hindernis auf dem Weg eines Vertrauensaufbaus zwischen uns. Ein Hindernis, das wir überwinden müssen. Armut und ein Gefühl der Benachteiligung bieten einen Nährboden für nationalistischen und religiösen Extremismus; und wir selbst gießen Öl in dieses Feuer, wenn wir nicht auf dem Prinzip der Gleichberechtigung aller Bürger des Staates Israel bestehen. […]
Freunde, ich bin heute hiergekommen, um ihnen zu sagen, dass ich mit Ihnen gemeinsam trauere. Als Jude erwarte ich von meinen Glaubensgenossen, dass sie Verantwortung für unser Leben hier übernehmen; und als Staatspräsident Israels, als Ihr Präsident, erwarte ich von Ihnen, dieselbe Verantwortung zu übernehmen. Die arabische Bevölkerung in Israel und die arabischen Führer in Israel müssen sich klar gegen Gewalt und Terrorismus stellen. […]
Ich glaube von ganzem Herzen daran, dass, wenn wir wirklich verstehen, dass wir keine andere Wahl haben, wenn wir eine gemeinsame Verantwortung für unsere Zukunft übernehmen, dann kann die Beziehung zwischen uns von Verhältnis der Spannungen in einen Quell der Kraft verwandelt werden. Ein Symbol der Fähigkeit von Juden und Arabern, von uns allen, den Kindern Abrahams, Isaaks und Ismaels zu lernen, gemeinsam zu leben.“
(Präsidialamt, 26.10.14)