Präsident Rivlin beim Staatsbankett in Schloss Bellevue

Präsident Rivlin beim Staatsbankett in Bellevue

  •   Präsident Rivlins Rede anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der diplomatischen Beziehungen
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     copyright: Botschaft/Yehuda Swed
     
     
    Präsident Rivlins erster Tag seines Staatsbesuchs in Deutschland endete gestern mit einem Staatsbankett in Schloss Bellevue. Zu dem Bankett hatten Bundespräsident Joachim Gauck und Daniela Schadt eingeladen. Präsident Reuven Rivlin erschien in Begleitung seiner Frau Nechama. 

    Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland am 12. Mai 1965 hielt Präsident Rivlin folgende Rede:

    „Über 60 Jahre sind seit der Unterzeichnung des „Wiedergutmachungsabkommens“ zwischen dem Staat Israel, den Vertretern der Claims Conference und der Bundesrepublik Deutschland, damals Westdeutschland, vergangen.

    Die Unterzeichnungszeremonie, die in einem Festsaal des Rathauses von Luxemburg stattfand, dauerte weniger als zwölf Minuten.

    Die Stimmung, so bezeugten es die Anwesenden, blieb eisig.

    Die Distanz war deutlich und minutiös geplant.

    Es wurden keine Reden gehalten und keinerlei Herzlichkeit war zu spüren.

    Die Parteien saßen beidseits eines massiven Tisches und unterzeichneten schweigend die Dokumente.

    In Israel sprach man von einem „Zahlungsabkommen“, was Rückgabe von geraubtem Vermögen und Entschädigung der Opfer der Schoa und ihren lebenden Vertretern heißen sollte.

    In Deutschland erhielt dieses historische Ereignis den Namen „Wiedergutmachung“, was ein positiv besetzter Begriff der Versöhnung und der Wiederherstellung des Guten war.

    Versöhnung war das damals nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

    Der junge und kleine Staat Israel meiner Jugend kämpfte damals auf zahlreichen unterschiedlichen Gebieten um seine Existenz, sei es im Bereich der Sicherheit, der Wirtschaft, der Gesellschaft oder der Kultur.

    Auf allen genannten Gebieten waren die Narben der Schoah der europäischen Juden deutlich zu spüren und traten in aller Frische hervor.

    Das geteilte Deutschland jener Jahre war nicht das verfluchte Dritte Reich, jedoch war es nicht möglich, zwischen den beiden eine vollständige Unterscheidung zu treffen.

    Es vergingen weitere Jahre, bevor sich eine Versöhnung abzuzeichnen begann.

    Ich kann mich gut an die Ankunft von Rolf Pauls, dem ersten deutschen Botschafter in Israel, erinnern.

    Auch damals, dreizehn Jahre, nachdem Adenauer und Moshe Sharett das Entschädigungsabkommen unterzeichnet hatten, war für mich persönlich die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Deutschland schwierig, obwohl ich, wie die übrigen Bürger Israels, deren Wert verstand.

    Der junge Staat Israel benötigte in jenen Jahren deutsche Hilfe zur wirtschaftlichen Stabilisierung, zur Verringerung der Staatsschuld, zur Integration der Einwanderer und zur Stärkung auf dem Gebiet des Militärs und der Sicherheit.

    Und so wurde der Beginn der Beziehungen zwischen Deutschland und Israel, deren 50jähriges Jubiläum wir heute begehen, von politischer Vernunft geleitet, die dem Pragmatismus gegenüber Empfindungen und Gefühlen den Vorzug gab.

    Meine Damen und Herren,

    die Beziehungen zwischen uns entstanden aufgrund politischer Vernunft, indessen wuchsen, reiften und entwickelten sie sich im Laufe der Jahre zu einer echten Partnerschaft und Freundschaft.

    Im Laufe der Jahre entstanden feste und stabile Verbindungen zwischen unseren beiden Staaten.

    Diese Verbindungen sind nicht nur von der historischen Schuld der Nachkommen der Mörder und Schergen gegenüber den Nachkommen der Opfer geprägt.

    Es sind Brücken, die sich auf das Fundament einer mutigen, sich Rechenschaft ablegenden Nation stützen.

    Deutschland gehört immer noch zu den wenigen Staaten, die sich offizell als Nation zu ihrer Verantwortung für die Verbrechen gegenüber unserem Volk bekannt hat.

    Es ist bedauerlich und besorgniserregend, dass es auch heute Nationen gibt, die sich nicht nur vor ihrer Verantwortung für die Verbrechen der Schoa drücken, sondern sich sogar in aller Öffentlichkeit von dieser Verantwortung lossagen.

    Auf diesem mutigen und schmerzhaften Fundament haben sich die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel entwickelt, woraus eine echte Freundschaft entstanden ist.

    Rechenschaft ablegen, die Bitte um Vergebung und die komplexe Auseinandersetzung mit der Vergangenheit haben zu einer Freundschaft geführt, die sich nicht in Erklärungen und Reden erschöpft.

    Heute äußern sich die Beziehungen zwischen uns auf dem Gebiet der Wissenschaft und der Kultur und suchen hinsichtlich ihres Umfangs und der gegenseitigen Bereicherung Ihresgleichen; sie drücken sich in intensiven Handelsbeziehungen zwischen den Staaten selbst sowie zwischen Israel und den Staaten der Europäischen Union aus und kommen in einer engen nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit zum Ausdruck.

    Unsere Freundschaft findet ihre konkrete Verwirklichung in der Verpflichtung zur Sicherheit Israels, zur Zukunft des jüdischen Volkes, zum Kampf gegen Rassismus und gegen Fremdenhass.

    Im Laufe der ersten fünfzig Jahre unserer diplomatischen Beziehungen teilen Deutschland und Israel eine gemeinsame Verpflichtung gewaltigen Ausmaßes.

    Es ist die Verpflichtung, die Werte und Interessen der freien Welt gegen die globalen Gefahren, der sie ausgesetzt ist, zu verteidigen.

    Die Last unserer gemeinsamen Geschichte einerseits und unsere tiefe Freundschaft in der Gegenwart andererseits sind der Antrieb dafür, diese Verpflichtung gemeinsam zu verwirklichen.

    Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, diese Rede mit einem Gedicht von Jehuda Amichai, einem Dichter aus Jerusalem, der als Ludwig Pfeuffer in Würzburg im Süden Deutschlands geboren wurde, abzuschließen.

    Ein Mensch in seinem Leben

    Ein Mensch hat in seinem Leben keine Zeit

    Er hat nicht genügend Jahreszeiten

    Um Jahrszeiten für jeden Zweck zu haben.

    Der Prediger hatte Unrecht, als er das sagte.

    Ein Mensch muss gleichzeitig hassen und lieben

    Mit denselben Augen weinen

    Und mit denselben Augen lachen

    Mit denselben Händen Steine werfen

    Und sie mit denselben Händen aufheben.

    Im Krieg Liebe machen

    Und Krieg in der Liebe

    Und hassen und verzeihen, erinnern und vergessen

    Und ordnen und verwirren, essen und verdauen,

    Wofür die Geschichte viele Jahre braucht.

     

    Dies ist sein Gedicht.

    Ich wünsche uns noch viele Jahre gemeinsamen Schaffens.

    Ihnen vielen Dank.

    Seien sie gesegnet.”