Am Samstagabend (01.08.15) sprach Präsident Reuven Rivlin
auf einer Demonstration gegen Gewalt und für Toleranz am Jerusalemer Zions
Platz.
Er sagte:
„Freunde,
Flammen breiten sich in unserem Land aus. Flammen der Gewalt, Flammen des
Hasses, Flammen der falschen, verdrehten und pervertierten Überzeugungen.
Flammen, die das Blutvergießen erlauben – im Namen der Torah, im Namen des Gesetzes,
im Namen der Moral, im Namen der Liebe zum Land Israel.
Am Abend des 15. Aw (30.07.15), am Tag des jüdischen Festes der Liebe, wurden
sechs israelische Bürger im Zentrum Jerusalems grausam niedergestochen. […]
Zu meinem großen Entsetzen jedoch endete das Blutvergießen, der Pfad des Hasses
und des Mordens, nicht dort. Im Laufe derselben Nacht brannten jüdische
Terroristen das Haus der Familie Dawabsha im Dorf Duma nieder. Dabei töteten sie
den Sohn Ali, ein Baby, und verletzten seinen vierjährigen Bruder und den Vater
schwer. Die Mutter kämpft noch um ihr Leben.
Am Freitag besuchte ich die Familie im Tel Hashomer Krankenhaus. Ich besuchte
sie schweigend, beschämt. Mir graute es vor der Kraft des Hasses. Ich war
beschämt, weil es in einem Land, das die Ermordungen von Shalhevet Pass, der Familie
Fogel, von Adele Biton, von Eyal, Gilad, Naftali und Muhammad Abu Khdeir miterleben
musste, immer noch Menschen gibt, die nicht zögern, das Feuer zu entfachen, ein
Baby zu verbrennen und Hass und Terror zu vergrößern.
‚Und ob ihr schon viel betet, höre ich euch doch nicht; denn eure Hände sind
voll Blut‘, rief der Prophet Jesaja.
Wir können nicht damit fortfahren, diese Flammen nicht ernst zu nehmen, welche
die Öffentlichkeit in Israel als ein unglückliches Zusammentreffen von Ereignissen
verzehren. Diese Flammen, die uns alle verzehren, können nicht durch schwache
Verurteilungen gelöscht werden. Diese Flammen können nicht durch
Solidaritätsbekundungen gelöscht werden. Nicht einmal durch diese
Solidaritätsdemonstration.
Diese Flammen können nicht durch Facebook-Posts und Erklärungen in den Medien
gelöscht werden. Diese Flammen können nicht durch Verdrängung, Leugnung und
Ignorieren gelöscht werden. Hetze, Verhöhnung, Frivolität, Laxheit und Arroganz
im Herzen können dieses Feuer nicht löschen, sondern lassen es nur größer
werden, mit Eifer, sich in alle Richtungen ausbreitend und alle Gesellschaftsschichten
durchdringend. Eine unverhohlene Missachtung der Rechtsstaatlichkeit, der menschlichen
Würde, der Liebe zur Menschheit, der Liebe zu Israel und der Meinungsfreiheit
hat sich unter uns ausgebreitet und richtet einen verheerenden Schaden an.
Es wurde hier eine Atmosphäre geschaffen, die Nachsicht gegenüber Taten, die
naiv als ‚Unkraut‘ bezeichnet werden, erlaubt. Jede Gesellschaft hat mit
extremistischen Rändern zu kämpfen, doch heute müssen wir uns fragen: Was ist das
für ein öffentliches Klima, das es Extremismus und Extremisten erlaubt, sich selbstbewusst
am helllichten Tage fortzubewegen? Was hat diesem ‚Unkraut‘ die Möglichkeit
gegeben, die Sicherheit eines ganzen Blumengartens zu bedrohen?
Diese Flammen können nicht durch Verdrängung gelöscht werden. Um die Flammen zu
löschen, müssen wir viel entschiedener und entschlossener sein. Wir müssen
gründlich und klar vorgehen: vom Bildungssystem aus über diejenigen, die Recht
sprechen, bis hin zu den Führern des Landes und des Volks. Wir müssen die
Flammen, die Hetze, löschen, ehe sie uns alle zerstören.
Bürger Israels,
das jüdische und demokratische Israel, das demokratische und jüdische Israel braucht
heute einen Weckruf. Das Israel der Unabhängigkeitserklärung, das Israel in der
Vision der Propheten, das Israel des Mitleids und Erbarmens, braucht heute
einen Weckruf. Wir werden keine Fanatiker sein. Wir werden keine Tyrannen sein.
Wir werden kein Staat der Anarchie werden.
Der Staat Israel war und wird weiterhin ein Rechtsstaat sein. Der Staat Israel
war und wird weiterhin ein Staat der Freiheit, der Toleranz und der Gerechtigkeit
sein. Der Staat Israel war und wird weiterhin unser Zuhause sein. Das Zuhause
von uns allen.
‚Alsdann wirst du eine Stadt der Gerechtigkeit und eine fromme Stadt heißen‘,
sagte der Prophet Jesaja.
Amen.“
(MFA, 31.07.15)