Vor Kurzem veranstaltete das Zentrum für Deutsche und Europäische
Studien der Haifa-Universität ihre erste Konferenz zum Thema Dekarbonisierungsstrategien
in Deutschland und Israel.
Das israelisch-deutsche Thema der Konferenz hätte nicht faszinierender
sein können, wenn man die unterschiedlichen Umfelder und Herausforderungen im
Bereich der Energie und des Klimas betrachtet, vor denen die beiden Länder derzeit
stehen und zukünftig stehen werden. Das Zusammenbringen von
Umweltwissenschaftlern aus beiden Ländern wirft eine Frage auf: Wie können sich
Israel und Deutschland gegenseitig in ihren Bemühungen helfen, ihre jeweiligen
Ökonomien zu dekarbonisieren?
József Kádár, Doktorand am Zentrum für Deutsche und Europäische
Studien und Organisator der Konferenz, betonte die Notwendigkeit eines
Austausches von Ideen zwischen Israel und Deutschland bezüglich des Dekarbonisierungsprozesses.
„Unter den europäischen Ländern ist Deutschland ein Vorreiter auf dem Gebiet
des Übergangs zu erneuerbaren Energien und dem Dekarbonisierungsprozesses.
Das ist momentan nicht das dringlichste Problem in Israel. Daher
ist es umso wichtiger, in einen Dialog zu treten, aus dem beide Länder immens
profitieren können, denke ich”, sagte Kádár.
Israel und Deutschland im Vergleich
Dr. Steffen Hagemann, Direktor der israelischen Niederlassung
der Heinrich- Boell-Stiftung, sagte in seiner
Einführungsrede, dass eine reine Transformation der Energiemärkte in
Deutschland und Israel nicht genug sei, um die Ziele des Pariser Abkommens zu
erreichen. Eine radikale Veränderung in allen wirtschaftlichen Sektoren sei
notwendig. Das beinhaltet gesellschaftliche und kulturelle Reformen.
„Klimawandel ist nicht nur eine ökologische und umweltpolitische
Herausforderung, sondern auch eine kulturelle Herausforderung. Es ist ein
Kulturschock.”
Während Deutschlands „grüne Führung“ ein Schlüsselelement in der
nationalen Identität und Außenpolitik Deutschlands geworden ist, ist das Land laut
Hagemann daran gescheitert, eine fundierte Strategie für die Zukunft zu
entwickeln, die alle wirtschaftlichen Sektoren, Technologien und sozialen
Faktoren vollständig umfasst.
Prof. Benjamin Bental, früherer Direktor des Zentrums für Deutsche
und Europäische Studien und Professor für Wirtschaft an der Universität Haifa, nahm
einen eindrucksvollen Vergleich der Politik der erneuerbaren Energien in Israel
und Deutschland vor. In diesem Rahmen bezog sich Bental auf den Energy
Transition Index of the World Economic Forum. Der Index veranschaulicht die
Bereitschaft eines Landes, für einen Energiewandel ebenso wie seine derzeitigen
Systemleistungen. Basierend auf dem Index steht Deutschland auf Rang 17 und
Israel auf Rang 30.
Prof. Bental wies darauf hin, dass Israel sich zwar 13 Plätze
hinter Deutschland befindet, es Deutschland aber in der Systemleistung
übertrifft. Diese beinhaltet Energiezugang und Sicherheit, wirtschaftliches
Wachstum und Entwicklung, sowie ökologische Nachhaltigkeit.
„Der Grund dafür ist sehr einfach. Während Energiekosten in
Israel viel geringer sind, subventioniert Deutschland grüne Energien besonders
stark und verhängt hohe Kosten für den Konsumenten und die Industrie. Daher ist
die Leistung des Landes in Bezug auf wirtschaftliche Aspekte schlechter im
Vergleich zu Israel. Gleichzeitig ist Israels Leistung in Bezug auf die
Vorbereitung des tatsächlichen Übergangs besser”, sagte Bental.
„Die Indexlücke zwischen dem gegenwärtig führenden Land in Bezug
auf erneuerbare Energien, Schweden (welches Deutschland und Israel in Bezug auf
Leistung und Vorbereitung bei Weitem übertrifft), und Deutschland ist sogar
noch größer als die Lücke zwischen Israel und Deutschland. Daher sind
Deutschland und Israel in ihrer Gesamtleistung viel näher beieinander als
Deutschland und Schweden, ohne dass Israel überhaupt einen Beitrag zu
erneuerbarer Energiepolitik geleistet hat”, fügte er hinzu.
Laut Prof. Bental wirft das die Frage nach Effektivität der
deutschen Politik hinsichtlich der Transition zu erneuerbarer Energie auf,
welche betrachtet werden muss.
Umweltpolitik benötigt eine umweltaktive Zivilgesellschaft
Während der Konferenz, die in drei separate Diskussionsrunden
unterteilt wurde, die individuellen Stufen der Dekarbonisierung in Israel und Deutschland
thematisierten, machten die Sprecher auf die Hauptmerkmale der Energiesektoren
des jeweiligen Landes aufmerksam.
Prof. Sabine von Mering, Direktorin des Zentrums für Deutsche
und Europäische Studien an der Brandeis-Universität in den USA widersprach Prof.
Bental und argumentierte, dass Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten
einige große Erfolge auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien hatte.
Laut Prof. von Mering hat Deutschland eine große Anzahl grüner
Energien in die Nachbarländer exportiert – ein Privileg, dass Israel momentan
nicht hat. Zweitens hat sich der Anteil erneuerbarer Energien in dem Land auf
über 35% erhöht.
Gleichzeitig steht Israel vor seinen eigenen Problemen in Bezug
auf den Klimawandel. Ein Beispiel, welches Dr. Amit Tubi von der Hebräischen
Universität in Jerusalem sieht, ist der CO2-Fußabdruck durch die Entsalzung des
Meerwassers, durch die 80% des israelischen Trinkwassers bereitgestellt wird. Während
dieses innovative Verfahren die Wasserproduktion vom Klima entkoppelt hat,
erhöht es Israels Treibhausgasemissionen erheblich.
Der Entsalzungsprozess bedarf enormer Energiemengen und in
Israel wird diese Energie ausschließlich durch fossile Brennstoffe erzeugt. Daher
steht das Land jetzt vor einer zweifachen Herausforderung: den Übergang zu
erneuerbaren Energiequellen und gleichzeitig der vermehrten Herstellung von
„grünem” entsalztem Wassers.
Mit der Entdeckung großer natürlicher Gasfelder vor der
Mittelmeerküste Israels zu Beginn des Jahrzehnts wurde von vielen angenommen,
dass die Energieprobleme des Landes gelöst wären. Doch obwohl natürliches Gas
etwas umweltfreundlicher als Kohle ist, wird sich Israel noch immer zu einem
beinahe Null-CO2-Energiemarkt umwandeln müssen, was mit einer auf natürlichem
Gas basierten Wirtschaft nicht möglich ist.
Tubi wies darauf hin, dass eine reine politikbasierte Strategie
nicht genug sein wird. Er fügte hinzu, dass eine aktive öffentliche Involvierung
unerlässlich für einen erfolgreichen Übergang zu erneuerbaren Energien bis 2050
sein wird. Zu diesem Zweck schlug er vor, „eine umweltaktive Zivilgesellschaft
zu kultivieren.”
Omer Tamir von EcoTraders, einer
Umwelt-Management-Beratungsagentur in Israel, führte Israels Energieziele für
die nahe Zukunft weiter aus. Laut der Ziele, die im Jahre 2015 festgelegt
wurden, plant Israel das nationale Stromnetz bis 2030 mit 17% erneuerbaren
Energien zu beliefern und gleichzeitig die derzeitigen 9,5 Tonnen
CO2-Emissionen pro Kopf auf 7,5 Tonnen pro Kopf zu reduzieren. Zusätzlich soll
die Benutzung privater Autos um 20% verringert werden, was durch einen
umfangreichen Wechsel zu öffentlichen Verkehrsmitteln erleichtert werden soll.
Tamir griff die Tatsache auf, dass Israel eingeschränkte Landressourcen
hat und daher die größte Anzahl der erneuerbaren Energie in urbanen Bereichen
produziert werden müsste. Daher werden Städte mit einer angemessenen
Infrastruktur und entsprechender Stadtplanung ausgestattet werden müssen. Tamir glaubt ähnlich wie Tubi, dass
letztendlich die Unterstützung der Bürger und besonders der Einsatz junger
Menschen, die effektive Implementierung von Regierungsrichtlinien möglich
machen wird.
Dr. Heiko Thomas vom Institut für Nachhaltigkeitsforschung in Deutschland
stellte die Dekarbonisierungsstrategien Deutschlands vor. Obwohl er die sozialen
und politischen Bedingungen des Dekarbonisierungsprozesses nicht diskutierte, wies
er darauf hin, dass Deutschlands Energiemarkt auf einem diversifizierten Modell
verschiedener erneuerbarer Energiequellen aufgebaut sein muss.
„Deutschland wird sein letztes Atomkraftwerk innerhalb der
nächsten zwei Jahre allmählich abbauen und hat vor Kurzem entschieden, Kohle
bis 2038 allmählich abzubauen”, sagte Thomas. Laut derzeitiger Projektionen
wird Deutschlands Energiemarkt auf einem diversifizierten System mit Windkraft,
Photovoltaik-Solarzellen und Solarthermalsystemen als Hauptenergiequellen
basiert sein.
Ein Blick in die Zukunft
Das letzte Experten-Forum diskutierte Dekarbonisierungsstrategien
für das 21. Jahrhundert und damit Konzept und Pläne, die derzeit noch nicht
umsetzbar sind, die aber in der Zukunft stattfinden werden. Innovative
Technologien und bahnbrechende Innovationen waren nicht im Zentrum dieses
Forums, aber die Sprecher betonten erneut die Bedeutung öffentlicher Partizipation
in der politischen Entscheidungsfindung und der Wichtigkeit, zukünftige
Generationen zu involvieren. Schließlich werden zukünftige Generationen
Strategien verbessern und weitere Strategien weiterentwickeln müssen, um den
Klimawandel zu bewältigen.
Gil Proaktor vom Umweltministerium sagte, dass eine Reihe von
Teams eingesetzt wurden, die von relevanten Ministerien geführt werden, die
derzeit am Prozess der Finalisierung und der Umsetzung von Israels Zielen der
erneuerbaren Energien arbeiten. Während die Implementierung und das ständige Update
der Ziele kritisch sind, betont Proaktor, dass die Teilnahme und Unterstützung
durch Experten und der Öffentlichkeit ebenso wichtig sind.
„Wir brauchen Experten, die Öffentlichkeit und zivile Organisationen,
um erneuerbare Energiepolitik voranzutreiben und ein Bewusstsein für die
Notwendigkeit der Dekarbonisierung zu schaffen. Nur wenn die Öffentlichkeit als
Ganzes die Verknüpfung zwischen Klimawandel, Dekarboniserung und unsere
langfristige Prosperität realisiert, wird es uns möglich sein, Entscheidungsträger
davon zu überzeugen, die richtigen Entscheidungen zu treffen”, folgert er.
(ZAVIT, Dominik Döhler, Israeli and German scientists join forces in the fight against climate change, 05.01.2020.)