Rede Ron Prosor

"Verbunden, weil wir der Menschheit angehören"

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    ​Der ständige Vertreter Israels bei den Vereinten Nationen, Botschafter Ron Prosor, hat bei der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz eine Rede gehalten.
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    Gedenkveranstaltung in den UN zum 70. Jahrestag der Befreiung des Todeslagers Auschwitz-Birkenau Gedenkveranstaltung in den UN zum 70. Jahrestag der Befreiung des Todeslagers Auschwitz-Birkenau : UN Photo/Eskinder Debebe
     
     

    ​Darin sagte er:
     
    „Heute begehen wir 70 Jahre seit der Befreiung von Auschwitz. Primo Levi, ein italienischer Jude, der Auschwitz überlebt hat, schrieb: ‚Ich bin immer wieder überwältigt von der Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen.‘
     
    Der Holocaust war ein Zeitalter der Gräuel und der Straflosigkeit. In den Jahren darauf glaubten die Menschen, dass wir zivilisierter und sensibilisierter geworden sind – dass all diese Gräuel uns nie wieder heimsuchen würden. Und dann kamen Kambodscha, Ruanda, Darfur und Bosnien. 
     
    Die Geschichte hat uns gezeigt, dass es immer Menschen geben wird, die glauben, dass das Leben Einiger weniger Wert ist als das Anderer, wegen ihrer Nationalität, wegen ihrer Ethnie, wegen ihrer Herkunft. Sie verstehen nicht, dass, während wir vielleicht nicht Brüder und Schwestern im Glauben sind, wir doch ein gemeinsames Schicksal haben – wir sind verbunden, weil wir der Menschheit angehören.
     
    Der Holocaust hat nicht bei den Ghettos und Konzentrationslagern angefangen; er hat damit angefangen, dass Juden herabgewürdigt und entmenschlicht wurden. Die Nazis haben die Juden enteignet, sie haben ihnen erst ihre Würde und dann ihr Leben genommen. Die gleiche Gleichgültigkeit gegenüber jüdischem Leben sehen wir heute.
     
    Der Terrorist, der vor zwei Wochen vier Juden in einem Pariser Supermarkt ermordet hat, hat Yoav Hattab nicht als jemandes Bruder gesehen oder Yoav Cohen als jemandes Freund, oder Philippe Braham als jemandes Ehemann oder François-Michel Saada als jemandes Vater. In seinen Augen waren sie weniger als Menschen, und er tötete sie kaltblütig.
     
    Siebzig Jahre nach dem Holocaust leben europäische Juden wieder in Angst. Sie werden auf den Straßen angegriffen, weil sie eine Kippa tragen, ihre Geschäfte werden beschädigt, Bomben werden auf Synagogen geworfen. Europa befindet sich in einer wahren Epidemie des Antisemitismus.
     
    Im vergangenen Sommer gab es einen Ausbruch gewalttätiger Proteste im Zuge des Konfliktes zwischen Israel und dem Gazastreifen. In Frankreich wurden jüdische Betende in einer Synagoge von einem wütenden Mob umzingelt, der für sich in Anspruch nahm, gegen die Politik der israelischen Regierung zu protestieren.
     
    Lassen Sie es mich noch einmal betonen: Die Demonstrierenden haben sich nicht entschieden, vor der israelischen Botschaft oder einem Ministerium zu protestieren; ihre Angriffe galten Juden in einer Synagoge. Dies war kein Ausdruck legitimer Kritik oder von Meinungsfreiheit – dies ist die jüngste Inkarnation des ältesten Hasses der Welt.
     
    Hier bei den Vereinten Nationen, in dieser Institution, wird Israel immer wieder für Angriffe herausgegriffen. Diese Angriffe mögen als Kritik an der israelischen Politik getarnt sein, doch oft genug offenbaren sie eine Einseitigkeit, die in dieser Institution sehr tief sitzt.
     
    Bedenken Sie nur das Folgende: Es gibt 20 Mal mehr Resolutionen des Menschenrechtsrates, die gegen Israel verabschiedet wurden, als im Vergleich mit allen anderen Ländern der Welt. Dies ist weder logisch noch moralisch vertretbar. Staatsoberhäupter und Botschafter standen hier in dieser Institution und verglichen Israel mit Hitler und den Nazis. Dies ist keine legitime Kritik.
     
    Als Sie heute morgen hier hereinkamen, sind Sie an den Fahnen aller 193 Mitgliedsstaaten vorbeigekommen. Darunter sind 25 Flaggen mit einem Kreuz, 15 mit einem Halbmond und nur eine einzige mit einem jüdischen Davidstern.
     
    Für einige Menschen und einige Nationen ist ein jüdischer Staat schon einer zu viel. Ihnen wäre es lieber, wenn die Juden wieder zerstreut, heimatlos, verfolgt und schutzlos wären.
     
    Die Leute sprechen über das israelische Recht auf Selbstverteidigung, aber wenn jüdisches Leben in Gefahr ist und Israel handelt, um es zu verteidigen, werden wir von allen Seiten angegriffen. Zu lange waren wir der Kanarienvogel der Menschheit in der Kohlemine. Nicht mehr!
     
    Heute haben wir einen starken Staat Israel, der Tag und Nacht Wache steht. Abba Eban, der frühere Außenminister hat die Schlagseite gesehen und gesagt: ‚Es ist besser, nicht gemocht zu werden, als bedauert.‘ Er hatte recht.
     
    Israel ist die einzige echte Demokratie im Nahen Osten. Es ist das einzige Land in der Region mit einer freien Presse, freien Wahlen und Redefreiheit. Und es ist die einzige Nation, die die Rechte von Frauen und Minderheiten verteidigt. Wir werden diese Werte immer verteidigen. Immer. Und wenn wir in diesem Prozess nicht gemocht werden, dann ist es halt so.
     
    Die Alternative – bedauert zu werden – ist nicht länger eine Option für uns. Israel wird nicht mehr auf sein Recht verzichten, den jüdischen Staat und das jüdische Volk zu verteidigen.
     
    Ein jüdisches Sprichwort sagt:
     מָוֶת וְחַיִּים, בְּיַד-לָשׁוֹן‚Tod und Leben liegen beide in der Macht der Zunge.‘
     
    Ich schaue mich in der Welt um und sehe politische Führer, die erklären, es sei ihre ‚heilige Pflicht‘, die Ungläubigen zu ermorden. Ich sehe religiöse Führer, die erklären, dass Homosexuelle weniger wert sind als Menschen. Und ich sehe Lehrer, die Kinder ermutigen, Märtyrer zu werden, wenn sie groß sind.
     
    In Klassenräumen und Gebetshäusern überall auf der Welt werden Kinder Gewalt anstelle von Toleranz und Märtyrertum anstelle von gegenseitigem Verständnis gelehrt.
     
    Zu viele schweigen schon zu lange. Aus Angst davor, nicht politisch korrekt zu sein, haben Nationen gezögert, klar und deutlich die Wahrheit auszusprechen.
     
    Einige Menschen behaupten, für liberale Werte zu stehen, aber aus ihren Elfenbeintürmen können sie nicht sehen, dass Extremisten die Menschenrechte dazu nutzen, menschliche Wesen zu missbrauchen. Sie nutzen das Recht auf freie Rede, um die freie Rede zu missbrauchen. Und sie nutzen die Medien, um Journalisten zu missbrauchen.
     
    Wenn man den nächsten Massenmord verhindern will, dann kann es keine Zweideutigkeit oder Ausflüchte geben – man muss es aussprechen, wie es ist. Radikale Islamisten sind die größte Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit in der Welt.
     
    Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass wir eine Verantwortung haben. Wir haben die Verantwortung, für die Werte zu kämpfen, an die wir alle glauben. Extremisten greifen Menschenrechte und die menschliche Würde an, und wir tun nicht genug, um sie aufzuhalten.
     
    Die Gefahr der Gleichgültigkeit und die Konsequenzen des Nicht-Handelns sind einfach zu hoch. Wir müssen zusammenstehen und erklären, dass es null Toleranz gegenüber Vorurteilen geben kann. Es darf null Toleranz dafür geben, Kinder zum Hass zu erziehen. Und es darf null Toleranz für Extremismus geben.
     
    Herr Präsident,
     
    Die Vereinten Nationen sind aus der Asche des Holocaust erstanden, um für Menschlichkeit einzustehen. Es ist eine Verantwortung, die jeder einzelne von uns jeden Tag bei sich trägt. Der Holocaust hat uns gelehrt, dass Gedenken ohne Handeln bedeutungslos ist. Und er hat uns gezeigt, das Bewusstsein mit Aktion gepaart werden muss.
     
    Wir haben die Pflicht zu handeln [engl. to act]: A-C-T. A: Wir müssen aufmerksam sein und die Warnzeichen erkennen. C: Wir müssen all jene verurteilen [engl. to condemn], deren Handeln durch Vorurteile motiviert ist. Und T: Wir müssen die nächste Generation Toleranz und Verständnis lehren [engl. to teach], lehren und nochmals lehren.
     
    Wir müssen mutig und entschlossen zusammenstehen, um unsere Freiheit zu verteidigen, unsere Werte zu schützen und die Mächte zu konfrontieren, die uns diese nehmen wollen. Nur dann können wir die Worte ‚nie wieder‘ sprechen und wissen, dass diese Worte eine Bedeutung haben.
     
    Vielen Dank.“
     
    (Israel bei den Vereinten Nationen, 21.01.15)

    Hier finden Sie das Video der Rede.