Interview

"Die Underdogs, das sind wir!"

  •   Unsere Botschafterin Talya Lador-Fresher im Interview mit der Kleinen Zeitung
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    Botschafterin Talya Lador-Fresher Botschafterin Talya Lador-Fresher : Susanne Nuechtern
     
     
    Unsere Botschafterin Talya Lador-Fresher hat mit der Kleinen Zeitung über Türkis-Blau, rechten und muslimischen Antisemitismus und über Europas getrübten Blick auf den Nahen Osten geredet.

    Kleine Zeitung: Frau Botschafterin, Sebastian Kurz besucht Israel. Es ist seine erste Visite als Kanzler der türkis-blauen Regierung. Wie steht es um die Beziehungen zwischen den beiden Ländern?

    Talya Lador-Fresher: Sie sind in vieler Hinsicht so gut wie noch nie. Im Programm der Regierung in Wien ist explizit die Rede davon, dass Israel ein jüdischer Staat ist. Es wird nicht nur von der Mitverantwortung Österreichs für den Holocaust, sondern von Mitschuld gesprochen. Die Worte zum Antisemitismus sind deutlich. Die Koalitionäre sprechen sich im Sinn des UN-Teilungsbeschlusses von 1947 für Palästina dafür aus, dass es zwei Staaten geben soll, einen für die Juden, einen für die Araber. Aber sie stellen zugleich klar, dass man Israels Sorgen um seine Sicherheit Rechnung tragen muss. Das ist einzigartig.

    Kleine Zeitung: ​Die Regierung will Holocaust-Überlebenden und ihren Nachkommen die Staatsbürgerschaft verleihen. Ist das eine gute Idee?

    Talya Lador-Fresher: Ich warte noch auf Details. Wir glauben aber nicht, dass es sehr viele Leute nutzen werden. Aber für jemanden, der im Ausland studieren will, macht es das Leben sicherlich einfacher.

    Kleine Zeitung:​ Sie loben die Regierung. Warum spricht das offizielle Israel dann nur mit Kanzler Kurz, nicht aber mit Vizekanzler Strache?

    Talya Lador-Fresher: Weil die FPÖ noch mit Herausforderungen ringt, von denen wir wünschen, dass sie sie löst. Der Holocaust und die Erfahrung des Antisemitismus sind Teil der Seele und der Politik des Staates Israel. Das ist der Grund, warum die FPÖ so starke Emotionen in Israel hervorruft. Als die neue österreichische Regierung angelobt wurde, hat Israel seine Politik ihr gegenüber publik gemacht. Es wurde das gute Einvernehmen zwischen Premier Netanjahu und Kanzler Kurz betont und festgehalten, dass Israel auf Beamtenebene zu allen Ministerien Kontakt halten wird. Unser Außenministerium wurde beauftragt, die Beziehungen zur Regierung zu evaluieren.

    Kleine Zeitung:​ In der Jerusalem-Frage hat Türkis-Blau viel wohlwollender agiert als andere EU-Staaten. Gehört das nicht gewürdigt?

    Talya Lador-Fresher: Österreich hat als einer von vier EU-Staaten seinen Botschafter zu dem Empfang am Vorabend der feierlichen Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem im Außenministerium geschickt. Diese Geste wurde in ganz Israel gut aufgenommen. In Europa bekommt man ja immer wieder zu hören, dass die Verlegung der US-Botschaft ein sehr umstrittener Schritt ist.

    Kleine Zeitung:​ Ist sie das nicht?

    Talya Lador-Fresher: Die meisten Israelis, egal ob links oder rechts, haben Donald Trump dafür bejubelt. Der US-Präsident hat das Offensichtliche real werden lassen. Jerusalem ist die Hauptstadt von Israel. Wo übernachtet Kanzler Kurz bei seinem Besuch? Wo trifft er Premier Netanjahu, wo Präsident Rivlin? In Jerusalem.

    Kleine Zeitung:​ Soll auch Österreich seine Botschaft dorthin verlegen?

    Talya Lador-Fresher: Alle Länder sollten das.

    Kleine Zeitung:​ Sie haben die klaren Worte der österreichischen Regierung zum Antisemitismus erwähnt. Hat Österreich noch ein Problem damit?

    Talya Lador-Fresher: Das Land hat einen weiten Weg zurückgelegt. Das muss man anerkennen, nach all dem Schlimmen, was auch nach dem Krieg hier geschehen ist. Namhafte Politiker von SPÖ und ÖVP haben die Rückkehr von Juden verhindert. Die Rückgabe von Besitz wurde verweigert. Glücklich, weil sie so die Hunderttausenden vergessen konnten, die Hitler zugejubelt haben, haben die Österreicher sich die These der Alliierten zu eigen gemacht, erstes Naziopfer gewesen zu sein. Das hat sich erst mit der Waldheimaffäre geändert. Die Jungen sind da anders, in der Erinnerungskultur wird viel getan. Was mir große Sorge bereitet, ist weniger der traditionelle rechte Antisemitismus, sondern der Antisemitismus, der von radikalen muslimischen Kreisen kommt. Dieser ist keine legitime Kritik an Israels Politik, aber Hass auf den Staat Israel und das Faktum, dass es ihn gibt.

    Kleine Zeitung:​ Haben Sie diesen Antisemitismus selbst zu spüren bekommen?

    Talya Lador-Fresher: Es war an einer Schule in Niederösterreich. Zu Ende eines Gesprächs mit Jugendlichen kam ein Bursche auf mich zu, ein Syrer. Er suchte die Begegnung mit mir, sagte, dass ich die erste Jüdin sei, die er in seinem Leben treffe. Und dann erklärte er: „Sie wissen, was man bei uns sagt? Erst erledigen wir den IS, dann kümmern wir uns um euch!“

    Kleine Zeitung:​ Was haben Sie ihm erwidert?

    Talya Lador-Fresher: Ich war schockiert. Er war ein reizender Kerl. Er hat mich nicht mit dem Messer bedroht. Aber die Leichtigkeit, mit er das sagte, war so geprägt vom System, in dem er aufgewachsen ist, dass er nicht auf die Idee kam, dass mir das Angst einjagen könnte.

    Kleine Zeitung:​ Was wäre die richtige Antwort?

    Talya Lador-Fresher: Erziehung, Erziehung, Erziehung und Null-Toleranz!

    Kleine Zeitung:​ Nährt Israel mit seiner harten Besatzungs- und Siedlungspolitik nicht den Hass der Muslime?

    Talya Lador-Fresher: Es wird immer so getan, als sei Israels Siedlungspolitik das einzige Friedenshindernis. Tatsache ist, dass Israel 2005 ganz aus Gaza abgezogen ist. 8000 Israelis mussten ihre Häuser aufgeben, 18 Siedlungen wurden demoliert. Wir haben gehofft, dass die Palästinenser ein friedliches Leben aufbauen würden. Wir haben ihnen sogar unsere Gewächshäuser überlassen. Aber was ist passiert? Sie haben sie niedergebrannt. Heute lebt kein einziger Israeli mehr in Gaza. Aber es gibt seit Wochen jeden Freitag den „Großen Marsch“ und Unruhen an der Grenze.

    Kleine Zeitung:​ Aber Gaza ist kein freies Land.

    Talya Lador-Fresher: Es hätte aber eines sein können. Israel liefert Strom und Treibstoff nach Gaza. Doch die Hamas will keinen Frieden. Sie hat zuletzt sogar den Grenzübergang für Hilfsgüter in Brand stecken lassen. Liefert man nach Gaza Zement, stecken sie ihn in den Bau von Terrortunneln statt in Spitäler. Wo ist die Logik darin?

    Kleine Zeitung:​ Wo ist Logik darin, in der Westbank neue Siedlungen zu bauen?

    Talya Lador-Fresher: Niemand weiß, wie am Ende des Tages das Land zwischen uns und den Palästinensern verteilt sein wird. In vielen Lösungsvorschlägen war von Landtausch die Rede. Niemand weiß, was nach Palästinenserpräsident Abbas kommt. Alles, was ich sehe, ist, dass Israel oft seinen Willen gezeigt hat, für den Frieden schmerzhafte Kompromisse einzugehen, ob das die Rückgabe des Sinai an Ägypten war, die Lösung des Wasserstreits mit Jordanien oder das Oslo-Abkommen, wo wir ziemliche Risiken eingegangen sind. Letztlich ist es eine Frage des Vertrauens. Fragen Sie die Palästinenser, was sie wirklich wollen, wo sie die endgültige Lösung sehen?

    Kleine Zeitung:​ Netanjahus Politik ist halt nicht wirklich vertrauenerweckend.

    Talya Lador-Fresher: Aber wo! Erst jüngst in Paris hat der Premier seiner Besorgnis über die humanitäre Lage in Gaza Ausdruck verliehen und Hilfe eingefordert. Israel hat Interesse daran, dass die Palästinenser gut leben. Und Netanjahu hat seinerzeit auf Drängen von US-Außenminister Kerry einen neunmonatigen Siedlungsstopp verhängt. Das hat ihm viel Kritik von rechts beschert. Neun Monate sind eine lange Zeit. Was ist in ihnen passiert? Nichts! Die Palästinenser haben sich nicht an den Verhandlungstisch gesetzt.
    Der Iran ist eine große Gefahr, nicht nur für den Nahen Osten, sondern für die ganze Welt.

    Kleine Zeitung:​ Sieht Europa den Nahost-Konflikt zu einseitig?

    Talya Lador-Fresher: Ja, und ich denke, dafür gibt es viele Gründe. Einer ist, dass die Palästinenser in diesem Konflikt als Underdogs gesehen werden. Nur die Underdogs, das sind wir. Israel ist umgeben von arabischen Nachbarn. Es ist der einzige jüdische Staat der Welt. Um zu bestehen, mussten wir uns in vielen Kriegen verteidigen. Und dann tut Europa sich schwer damit, zu verstehen, wie der Nahe Osten wirklich funktioniert.

    Kleine Zeitung:​ Sieht es auch den Iran zu naiv?

    Talya Lador-Fresher: Der Iran ist eine große Gefahr, nicht nur für den Nahen Osten, sondern für die ganze Welt. Damit meine ich nicht nur die Absicht Teherans, eine Nuklearmacht zu werden, sondern den Umstand, dass es in fast alle Konflikte in der Region verwickelt ist, ja, diese anheizt.

    Kleine Zeitung:​ Hat Trump gut daran getan, das Atomabkommen aufzukündigen?

    Talya Lador-Fresher: Israel hat dieses Abkommen nie befürwortet. Was wird nach seinem Ablauf geschehen? Was tun Sie, wenn Sie sehen, dass eine Gefahr auf Sie zukommt? Warten Sie zu oder versuchen Sie, die Bedrohung von Ihrer Schwelle fernzuhalten? Wir haben das Abkommen in dieser Form von Anfang an kritisiert.

    Kleine Zeitung:​ Obwohl es in Wien ausverhandelt wurde?

    Talya Lador-Fresher: Wien ist eine schöne Stadt. Aber der Deal ist nicht gut.

    Interviewer: Stefan Winkler und Michael Jungwirth 

    ZUR PERSON
    Talya Lador-Fresher wurde 1962 in der Stadt Petach Tikwa bei Tel Aviv geboren. Schon ihr Vater war Diplomat. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft und der Politikwissenschaften in Jerusalem trat auch sie 1987 in den diplomatischen Dienst ein. Auslandsposten führten sie nach Deutschland, Jamaika, Amerika und England. Seit 2015 ist die Mutter zweier Kinder Israels Botschafterin in Wien.