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Es ist schwer, Jude zu sein – Israeli zu sein, ist ein Fluch
Von Omri Nitzan, Ynet, 04.09.12
Die Entscheidung von Peter Brook, seinen Besuch am Cameri-Theater abzusagen, macht mich traurig. Mehr als das allerdings verleiht sie uns einen Eindruck davon, wo Israel sich auf dem kulturellen Planeten Erde befindet. Wir sind zu einem abgelegenen und unerwünschten Flecken geworden; und wenn wir manchmal irrtümlicher Weise dachten, wir seien Teil der internationalen Welt der Kultur, dann hat uns die Welt jetzt über diesen Irrtum aufgeklärt.
Wenn wir dachten, dass die Welt immer kleiner wird und dass verschiedene Kulturen miteinander in einem Dialog stehen, sich gegenseitig befruchten und bereichern, dann kommt hier die ernüchternde Enttäuschung und beweist, dass Israel systematisch zur Lepra-Kolonie erklärt wird und seine Künstler zu Aussätzigen, die nichts als Abscheu hervorrufen. Wir haben das bei Konzerten des Philharmonie-Orchesters in der Royal Albert Hall in London gesehen, bei Aufführungen des Ha-Bima-Theaters beim Festival Globe to Globe, beim Auftritt der Bat Sheba Dance Company beim Edinburgh Festival und jetzt durch die Ankündigung Brooks.
Es sind nur noch einige wenige Orte übriggeblieben, wo wir mit Bewunderung empfangen werden, wie etwa das totalitäre China. Ich möchte hier niemanden beschuldigen, es handelt sich hierbei einfach um einen Image-Krieg. Auf uns wird Druck in Zusammenhang mit Auftritten in den Gebieten ausgeübt. Auf sie üben pro-palästinensische Gruppen Gewissensdruck aus. Sie müssen Angst haben, selbst mit einem Boykott belegt zu werden. Man kann ihre Ratlosigkeit verstehen, auch wenn es sich um eine falsche Entscheidung handelt.
Peter Brook ist der interessanteste, wichtigste und bahnbrechendste Regisseur des zwanzigsten Jahrhunderts. Für mich ist er ein Held. Über all die Jahre habe ich jede Zeile von ihm gelesen, und ich habe beinahe jede Inszenierung von ihm gesehen. Seine Arbeiten sind frei, bedingungslos und frei auch von Traditionen, er weigert sich, sich Moden hinzugeben. […] Auch in dieser Hinsicht bin ich persönlich enttäuscht. Ich fühle mich, als würde er mich persönlich boykottieren. Ich weiß nicht, ob irgendjemand in der Regierung sich für diesen Trend interessiert, der zum Boykott und zur Isolierung Israels aufruft. Die gesamte jüdische Geschichte über heißt es „Das Volk wird abgesondert wohnen“*, und so sondern wir uns ab und werden abgesondert – und in dieser Isolierung liegt ein gewisser zweifelhafter Genuss.
Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass auch in der Zeit des schwersten Kampfes in Europa gegen das Apartheids-Regime in Südafrika ein kultureller Boykott nie Teil dieses Kampfes war. Während dieser Zeit ist Athol Fugard in London mit einem Proteststück aufgetreten, das er auf der Bühne des Royal Court aufgeführt hat. Der Impact war unbeschreiblich. Auch die Inszenierung von Brook, die er hätte in Israel zeigen sollen, wäre für das Leben in Israel relevant gewesen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass seine Stimme gehört wird. Als Zionist sage ich, ohne mich zu beklagen, dass man der Wahrheit ins Auge sehen sollte: Wir werden an den Rand gedrückt.
Wenn zentrale Kulturinstitutionen wie das Philharmonie-Orchester, Bat Sheba oder das Ha-Bima-Theater verurteilt werden, dann hat sich dieser Kampfschauplatz längst schon ins Zentrum des Geschehens verlagert.
Wenn Brooks Théâtre des Bouffes du Nord, das als das wichtigste internationale Ensemble der Welt gilt, sich weigert, hierher zu kommen, dann kann man die Augen nicht mehr davor verschließen. Wir müssen verstehen, dass das kein Protest gegen diese oder jene Institution ist sondern eine Delegitimierung der gesamten hebräischen Kultur, die für den Zionismus steht, der wiederum die raison d’être des Staates Israel ist. Es ist das Glück der Literatur, dass sie schweigt. Es ist das Glück der Schriftsteller, dass – wegen der fürchterlichen Assoziationen dazu – bisher noch keine Bücher verbrannt werden.
Ein Boykott verändert überhaupt nichts. Ein Boykott macht nicht den Kopf für neue Gedanken frei und ist daher nicht effektiv. Dies ist eine Welt, in der einander entgegengesetzte Gravitationskräfte wirken. Doch von einem Menschen und Künstler, der nicht von politischen Zusammenhängen frei ist und die israelische Realität sehr wohl kennt, würde ich erwarten, dass er seine Arbeit für sich sprechen, zuschlagen und nachhallen lässt. Brook hat bereits in Persien inszeniert, das von einem Diktator regiert wurde, der eine Geheimpolizei einen brutalen Sicherheitsdienst und Folterknechte für notwendig hielt. Er hat ein Gastspiel in der Sowjetunion gegeben, als diese noch eine Diktatur war.
Brook kommt aus einer jüdischen Familie, und vielleicht hat er deshalb Sorge, die Welt könnte ihn als nicht objektiv genug ansehen. Sholem Aleijchem hat gesagt, es sei schwer, Jude zu sein. Ich sage daher zu Peter Brook: Es ist schwer, Jude zu sein – doch Israeli zu sein, ist ein Fluch.
Der Autor ist Intendant des Cameri-Theaters.
* 4. Mose 23,9
Die auf der Website veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der israelischen Regierung wieder, sondern bieten einen Einblick in die politische Diskussion in Israel.