Von Salman Masalha, Haaretz, 17.04.12
Wenn die ganze Welt mit anderen Dingen beschäftigt ist, sollte man sich wieder einmal der deprimierenden Lage der Palästinenser zuwenden und die israelische Besatzung nicht in Vergessenheit geraten lassen. Das mögen sich die Aktivisten der "Flytilla" gedacht haben.
Die israelische Reaktion auf diese "pro-palästinensischen" Aktivisten scheint dagegen hysterisch und geradezu an Dummheit grenzend. Denn, so komisch es klingt, diese Aktivisten sind weder pro-palästinensisch noch pro-arabisch. Im Gegenteil, weit mehr als dass die Flytilla "in Palästina willkommen" ist, wie sie von sich sagt, deutet sie auf eine tiefgehende Identifikation der Teilnehmer mit Israel hin und zeigt, wie sehr Israel Teil ihrer „zivilisierten Familie“ ist.
Es kann sein, dass ein Teil der Aktivisten gute, naive Weltverbesserer sind. Es kann auch sein, dass ein Teil von ihnen die Absicht hatte, Israel anzuschwärzen, obgleich es ohnehin schon ziemlich schwarz dasteht. Doch vor allem offenbart die Flytilla, dass der Rassismus der politisch korrekten zivilisierten Welt nicht zunächst Juden gilt, sondern der arabischen und muslimischen Kultur.
Denn der Ausgangspunkt der Organisatoren der Flytilla ist das genaue Gegenteil jeglicher Identifikation mit arabischem Leiden. Es steckt ein Funken Wahrheit in dem zynischen Brief, den die israelische Regierung vorbereitet hat, um ihn denjenigen zu überreichen, denen es allen Widerständen zum Trotz gelungen ist, hier zu landen. Wenn diese Aktivisten tatsächlich die Fahne der Menschenrechte im Allgemeinen und die Sorge um die Rechte arabischer Menschen im Besonderen hoch hielten, hätten sie sicherlich Zeit und Ort gefunden, um ihrer "moralischen" Verpflichtung auch an anderen Orten in dieser Region Ausdruck zu verleihen. An Reisezielen fehlt es in letzter Zeit nicht.
Seit mehr als einem Jahr begeht Bashar Al-Assad Massaker an arabischen syrischen Zivilisten, die nach Freiheit rufen. Der Teil der Welt, der aus welchen Gründen auch immer als "zivilisiert" bezeichnet wird, schaut mit verschränkten Armen und Grauen zu und tut nichts, um das Morden und die Zerstörung in den syrischen Städten zu beenden. Die Aktivisten sind Teil dieser zivilisierten Welt, und es scheint, als verhielten sie sich gemäß ihren moralischen Codes eben dieser Welt.
Wer die Welt in solche unterteilt, auf die die universelle Moral anzuwenden ist und andere, für die sie nicht gilt, kann sich selbst nicht moralisch nennen. Die universelle Moral gilt für alle – wer hier irgendeine Gruppe von Menschen ausnimmt, die nicht den moralischen Regeln gemäß handeln muss, dessen Moral ist höchst zweifelhaft.
Ist es dieser multikulturelle Rassismus, der solche und andere Aktivisten daran hindert, ihre Solidarität mit den massakrierten syrischen arabischen Zivilisten zu demonstrieren? Gehören nach Meinung dieser Aktivisten Länder der arabischen Welt wie Syrien und andere zu einer anderen Art von Kultur, für die die universellen Regeln der Moral nicht gelten?
Solche Aktivisten, die nicht die Zeit dafür finden, ihre Solidarität mit den arabischen Zivilisten in den arabischen Ländern zu erklären, die dort Tag für Tag massakriert werden, zeigen gerade durch ihre Unterlassung ihren anti-arabischen Rassismus. Für sie gehört die arabische und muslimische Welt zu einer anderen Kultur, die nach anderen moralischen Codes agiert, die nicht Teil "unserer" stolzen westlichen Moral sind.
In den Augen dieser Aktivisten ist Israel etwas anderes. Israel ist Teil ihrer eigenen Familie. Daher kommen sie hierher, um zu demonstrieren, nicht nach Syrien oder in andere arabische Länder. Der richtige Titel für diese und ähnliche Demonstrationen wäre daher "Welcome to Israel", nicht "to Palestine".
Der Autor ist Schriftsteller und Publizist.
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